Justizreform:EU-Kommission geht gegen Polen vor

Lesezeit: 2 min

PiS-Chef Jarosław Kaczyński bei einer Sitzung des polnischen Parlaments in Warschau. (Foto: Czarek Sokolowski/AP)

Brüssel beginnt ein Vertragsverletzungsverfahren - wegen des Gesetzes zur Disziplinierung polnischer Richter. Gegen Ungarn will die Behörde vorerst nichts unternehmen.

Im Streit um die polnische Justizreform verschärft die EU-Kommission ihr Vorgehen gegen die nationalkonservative Regierung in Warschau. Wegen des jüngsten Gesetzes zur Disziplinierung von Richtern hat die Brüsseler Behörde ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land eingeleitet, wie Justizkommissar Didier Reynders am Mittwoch auf Twitter mitteilte. Aus Sicht der EU-Behörde verstößt das Gesetz gegen EU-Recht. Es untergrabe die Unabhängigkeit polnischer Richter und stimme nicht mit dem Vorrang von EU-Recht überein, schrieb Reynders.

Vizekommissionschefin Věra Jourová sagte, es bestehe das Risiko, dass das Gesetz "unter anderem zur politischen Kontrolle des Inhalts von Gerichtsentscheidungen verwendet werden" könne. Richter aus anderen EU-Staaten müssten sich auf die Unabhängigkeit polnischer Kollegen verlassen können.

Konkret geht es um ein Gesetz, das Mitte Februar in Kraft getreten ist. Es sieht vor, dass Richter mit Geldstrafen, Herabstufung oder Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Entscheidungskompetenz oder Legalität eines anderen Richters, einer Kammer oder eines Gerichts infrage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen.

Falls Polen nicht einlenkt, könnte die Kommission das Land erneut vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Zunächst hat die polnische Regierung nun jedoch zwei Monate Zeit, schriftlich auf die Bedenken zu antworten.

Eines von vielen Verfahren

In der Vergangenheit zeigte Warschau sich allerdings wenig einsichtig. Die Beziehungen zwischen der EU-Kommission und der polnischen nationalkonservativen Regierungspartei PiS sind schon lange angespannt. Die PiS baut das Justizwesen des Landes seit Jahren umfassend um. Kritikern zufolge setzt sie Richter auf diese Weise unter Druck. Die EU-Kommission überwacht in der Staatengemeinschaft die Einhaltung von EU-Recht und hat bereits mehrere Verfahren wegen der Justizreformen eingeleitet.

2019 entschied der Europäische Gerichtshof etwa, die Zwangspensionierung polnischer Richter am Obersten Gericht sowie an ordentlichen Gerichten verstoße gegen EU-Recht. Vor drei Wochen entschied der EuGH, dass die polnische Disziplinarkammer zunächst ihre Arbeit aussetzen müsse, weil sie möglicherweise nicht unabhängig sei. Auch leitete die EU-Kommission 2017 ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Polen ein. Damit können einem Staat bei Verstößen gegen EU-Grundrechte in letzter Konsequenz Stimmrechte entzogen werden. Das Verfahren stockt jedoch. Die Stimmrechte könnten nur mit einer einstimmigen Entscheidung entzogen werden. Die ungarische Regierung hat klargemacht, dass sie dem Schritt auf keinen Fall zustimmt.

Kein Verfahren gegen Ungarn

Gegen das ungarische Notstandsgesetz will die Kommission vorerst nichts unternehmen. Jourová sagte, sie habe das Gesetz ausführlich analysiert und sehe im Text selbst keinen Anlass für ein Vertragsverletzungsverfahren. Doch gebe es schon lange große Sorge unter anderem über die Gewaltenteilung in Ungarn. Deshalb werde sie die Lage in dem EU-Staat sehr intensiv und "proaktiv" beobachten.

Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orbán hatte sich Ende März vom Parlament Sondervollmachten erteilen lassen. Damit kann Orbán zunächst unbefristet per Dekret regieren. Zwar kann das Parlament ein Ende des Notstands beschließen. Doch bleibt es bei den Vollmachten, falls das Parlament verhindert ist. Zudem wurden Strafen für die Verbreitung von Falschnachrichten verschärft, so dass Journalisten um die kritische Berichterstattung fürchten.

Laut einem Bericht der Welt kamen Rechtsexperten der Kommission zu dem Schluss, dass es keine konkreten Anhaltspunkte für die Verletzung demokratischer Grundrechte in Ungarn gebe. Deshalb seien keine unmittelbaren Gegenmaßnahmen aus Brüssel erforderlich. Die Kommission sei zwar besorgt über die Notstandsgesetzgebung und wolle die Umsetzung genau verfolgen. Doch hätten auch andere EU-Staaten, darunter Frankreich und Rumänien, starke Einschränkungen von Grundrechten beschlossen.

Das Europaparlament hatte die EU-Kommission Mitte April aufgefordert zu prüfen, ob die ungarischen Sofortmaßnahmen den EU-Verträgen entsprächen und andernfalls dagegen vorzugehen.

© SZ.de/dpa/kit - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Polen
:Per Briefwahl zum Machterhalt

Die regierende PiS hält am Termin für die Präsidentenwahl im Mai fest - bevor die Krise das Land voll im Griff hat. Die Opposition kritisiert das als "Staatsstreich".

Von Florian Hassel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: