EU-Gipfel zum Kaukasus-Konflikt:"Die Europäer müssen klare Worte finden"

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Vor dem EU-Gipfel erklärt CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz, warum Moskaus militärischer Erfolg in Georgien ein Pyrrhussieg gewesen sei.

Matthias Kolb

Der CDU-Abgeordnete Ruprecht Polenz ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Er bricht mit mehreren Mitgliedern des Gremiums zu einer Reise nach Russland und in die Ukraine auf.

Russische Soldaten stehen auf einem Panzer in der südossetischen Stadt Tschinvali. Die Aufnahme stammt vom 29. August. (Foto: Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Herr Polenz, heute berät der EU-Sondergipfel in Brüssel über die Kaukasuskrise und das Verhältnis zu Russland. Welche Botschaft muss die Europäische Union senden?

Ruprecht Polenz: Die Europäische Union muss Einigkeit zeigen, sowohl in der Sprache als auch in ihrer Politik, die sie gegenüber Russland künftig verfolgen will. Die Europäer müssen klare Worte finden und von Moskau einfordern, die selbst unterschriebenen Verpflichtungen aus dem Waffenstillstandsabommen zu erfüllen und seine Soldaten aus Georgien abzuziehen auf die Stellungen vor Kriegsausbruch. Außerdem sollten die Staats- und Regierungschefs deutlich machen, dass sie ein Interesse an einem unabhängigen Georgien haben und die russische Anerkennung von Südossetien und Abchasien als völkerrechtswidrig verurteilen.

sueddeutsche.de: Laut Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner denkt die EU über Sanktionen nach. Sie haben das sofort kritisiert. Warum?

Polenz: Ich fand es ungeschickt, dass im Vorfeld dieses Sondergipfels ein Akteur öffentlich über mögliche Beschlüsse redet. Das erschwert unnötig die Aufgabe, zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Ich halte nichts von Sanktionen wie einer Verschärfung der Visabestimmungen. Tatsache ist: Die Intensität der Beziehungen leidet unter dem russischen Verhalten. Aber Gespräche sind in der Politik keine Belohnung, sondern Mittel zum Zweck und wenn wir russisches Verhalten ändern wollen, dann müssen wir auch miteinander reden.

sueddeutsche.de: Die letzten Äußerungen von Ministerpräsident Putin und Außenminister Lawrow waren sehr agressiv. Gibt es überhaupt eine gemeinsame Kommunikationsebene?

Polenz: Momentan erweckt Russland den Eindruck, dass es vor lauter Kraft nicht laufen kann. Recht bald wird Moskau erkennen, dass es ein Pyrrhussieg war, den man in Georgien militärisch erreicht hat.

sueddeutsche.de: Weshalb war es für Russland nur scheinbar ein Erfolg?

Polenz: Ich sehe drei Gründe: Erstens ist die Anerkennung der Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien für einen Vielvölkerstaat wie Russland sehr riskant. Es sind ja gerade die eigenen Kaukasusvölker, wie die Tschetschenen, die unabhängig werden wollten. Diese Völker könnten sich mittelfristig auf diesen Fall berufen. Zweitens hat sich Moskau isoliert: Kein anderer Staat ist dem eigenen Beispiel gefolgt - abgesehen vom weißrussischen Diktator Lukaschenko. Gerade das Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit endete mit einem für Moskau sehr ernüchternden Ergebnis. Die Chinesen haben deutlich gemacht, dass sie die russische Meinung nicht teilen. Zudem hat Peking den Einsatz von Gewalt verurteilt und will die UN einschalten. Auch ein Vielvölkerstaat wie Iran wird sich hüten, dem Beispiel zu folgen.

sueddeutsche.de: Und der dritte Grund?

Polenz: Es ist bemerkenswert, wie viel Geld aus Russland in den letzten drei Wochen abgeflossen ist. Man spricht von 15 Milliarden Euro. Es zeigt, dass das Vertrauen der Wirtschaft in eine stabile Entwicklung Russlands erschüttert ist.

sueddeutsche.de: Der Auswärtige Ausschuss des Bundestages reist heute nach Moskau. Hand aufs Herz: Werden Ihnen Ihre Gesprächspartner das russische Vorgehen erklären können?

Polenz: Meine Kollegen und ich werden auf jeden Fall nach Erklärungen fragen und wir wollen einen Eindruck gewinnen, wie Russland sein Verhältnis zur EU als Institution sieht, nicht nur zu einzelnen Ländern. Natürlich werden wir unseren Standpunkt vortragen. Ich rechne mit schwierigen Gesprächen und denke auch, dass die Positionen weit auseinander gehen werden. Aber es ist richtig, dass der Besuch, der unter anderen Vorzeichen geplant war, trotzdem stattfindet.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, weshalb der von Russland angeführte Vergleich mit dem Kosovo für Ruprecht Polenz nicht überzeugend ist.

sueddeutsche.de: Die Begründung aus Moskau, der Kosovo sei der Präzedenzfall gewesen, weshalb man Südossetien und Abchasien die Unabhängigkeit nicht verwehren könne, überzeugt Sie nicht.

Fordert die EU auf, wachsam gegenüber Russland zu sein: Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz (Foto: Foto: oH)

Polenz: Wir wollen die signifikanten Unterschiede deutlich machen, sowohl in der Vorgeschichte, im Verlauf und in der Nachbehandlung. Fast alles war anders: Es gibt keine Entsprechung zur Apartheidspolitik der Serben im Kosovo, obwohl das Verhalten der Georgier im und nach dem Bürgerkrieg 1992 gegenüber der Abchasen und Südosseten mehr als fraglich war. Im Kosovo gab es lange Bemühungen der Vereinten Nationen, vor allem durch den Vermittler Artissari, während es in Abchasien nur eine schmale UN-Mission gibt. Moskau hat eigentlich immer alles getan, um ein Engagement der UN zu verhindern, um einen Hebel gegen Georgien zu haben. Und schließlich ist die Entwicklung nach der Unabhängigkeit verschieden: Das Kosovo ist meines Wissens von mehr als 40 Staaten anerkannt, während sich für Abchasien und Südossetien eher eine Quote von Nordzypern abzeichnet ...

sueddeutsche.de: ... dieser "Staat" wird ja nur von der Türkei anerkannt.

Polenz: Genau, aber das zeigt, dass der Rest der Welt die Situation ähnlich sieht wie die Europäer.

sueddeutsche.de: Hat die Krise auch Auswirkungen auf das EU-Partnerschaftsabkommen mit Russland?

Polenz: Die Regierung in Moskau muss sich entscheiden, ob sich Russland nur geografisch als europäisches Land versteht, oder auch politisch indem es auch das Rechtsverständnis und die entsprechenden Werte teilen will. Wenn letzteres nicht der Fall ist und darauf deutet das Verhalten des Kremls gegenüber Georgien hin, dann wird man bei dem neuen Abkommen nur über solche Punkte reden, wo sich die Interessen vereinbaren lassen. Einfaches Beispiel: Die Russen wollen Energie verkaufen, wir wollen Energie kaufen, das geht. Aber es wird schwer bei heiklen Fragen, für die Vertrauen und Rechtssicherheit nötig sind. Das betrifft etwa das Engagement westlicher Firmen an der Exploration in Sibirien oder den Einstieg von Gazprom in das Endkundengeschäft in Europa.

Lesen Sie auf der kommenden Seite, weshalb der Auswärtige Ausschuss in die Ukraine reist und ob die Halbinsel Krim womöglich zum nächsten Problemfall werden könnte.

sueddeutsche.de: Der Reiseplan wurde geändert, die Bundestagsabgeordneten reisen nun nicht ins russische Wladiwostok, sondern nach Kiew. Braucht die Ukraine diese Unterstützung?

Polenz: Es ist ein Signal der Wertschätzung. Natürlich interessiert uns, wie die Ukraine selbst die Situation im Kaukasus beurteilt und was in Kiew von der EU und Deutschland erwartet wird.

sueddeutsche.de: Außenminister Steinmeier befürchtet, es könnte zu einer Krise in der ganzen Schwarzmeerregion kommen. Wie groß ist die Gefahr wirklich, dass die Halbinsel Krim, die zur Ukraine gehört, zum nächsten Problemfall wird?

Polenz: Ich bin vorsichtig, öffentlich über mögliche weitere Krisen zu reden. Aber die Europäer müssen sehr wachsam sein, wenn man das Argument Russlands für die Georgien-Intervention hört. Demnach sei es nur um den Schutz russischer Bürger gegangen. Dies ist auch ein Punkt, der heute in Brüssel besonders deutlich zurückgewiesen werden muss. Natürlich hat jeder Staat die Verpflichtung, sich um seine Bürger zu kümmern - aber da geht es eher um konsularischen Schutz oder um eine Evakuation im Krisenfall.

sueddeutsche.de: Aber es beinhaltet eben kein Recht zur Intervention.

Polenz: Genau. Das ist deshalb so wichtig, weil es in den baltischen Staaten, in der Ukraine und anderen früheren Sowjetrepubliken noch viele russisch-sprachige Bürger gibt, die entweder noch russische Pässe haben oder denen man diese aushändigen könnte, wie es in Abchasien geschehen ist. So ließe sich die Berechtigung für eine Intervention schaffen.

sueddeutsche.de: Die Ukraine möchte sich langfristig an die EU und die Nato binden. Die Kanzlerin hat es im April abgelehnt, der Ukraine und Georgien einen konkreten Zeitplan für eine Nato-Mitgliedschaft zu geben. Ist das die richtige Position?

Polenz: Was die Nato-Perspektive angeht, gibt es keinen Grund, die Beschlüsse des Gipfels in Bukarest in Frage zu stellen. Zu sagen, Georgien habe diese Chance verspielt auf lange Zeit, wäre falsch. Ich rate ab, in der angeheizten Atmosphäre weitere Entscheidungen zu treffen.

sueddeutsche.de: Man sollte warten, bis sich die Stimmung etwas abgekühlt hat?

Polenz: Die Nato sollte nicht so auftreten, als betreibe sie eine aktive Akquisitionspolitik. Nach meinem Verständnis hat die Nato stets eine Politik der offenen Tür verfolgt: Es sind Länder eingeladen, der Allianz beizutreten, wenn diese das wollen, wenn die Voraussetzungen in Fragen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte erfüllt sind und wenn sie zur Sicherheit im Bündnis und in der Region beitragen. Der Nato-Russland-Rat war auch dazu gedacht, russische Bedenken zu hören, ohne Moskau ein Vetorecht zu geben.

sueddeutsche.de: Wie sieht es mit der EU-Perspektive aus?

Polenz: Wir haben das Problem, dass es durch die noch nicht verdaute EU-Erweiterung eine gewisse Müdigkeit gibt, was neue Mitgliedsstaaten betrifft. Auch viele Bürger haben Bedenken, wie die Debatte um den Lissabon-Vertrag gezeigt hat. Es ist zu früh, über konkrete Mitgliedschaftsperspektiven für Georgien und die Ukraine zu reden, aber man sollte sie nicht prinzipiell ausschließen und im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik eng zusammenarbeiten. Beide Staaten sollten das als Chance und als Hilfestellung auf dem Weg hin zu Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft sehen.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von der Idee, europäische Soldaten in den Kaukasus zu entsenden?

Polenz: Die EU soll ihre Forderung erneuern, den Ausbruch und den Verlauf des Krieges in Georgien durch eine unabhängige Kommission untersuchen zu lassen. Die Angaben beider Seiten sind sehr widersprüchlich. Russland hat schwere Vorwürfe erhoben, aber es fehlen Beweise. Auch die berechtigte Forderung nach mehr internationalen Beobachtern hängt an diese Frage. Letztlich sollte die EU auch darauf drängen, für die Absicherung einer Waffenruhe eine wirklich neutrale Friedenstruppe einzusetzen und sich daran beteiligen.

sueddeutsche.de: Also werden bald mehr deutsche Soldaten am Kaukasus stehen?

Polenz: Es müssen die Voraussetzung erfüllt sei: Es braucht ein UN-Mandat, das die EU übernimmt und außerdem müssen alle Konfliktparteien einen solchen Einsatz befürworten. Unter diesen Umständen kann ich mir nicht vorstellen, dass sich Deutschland dann raushält und das Ganze Luxemburg und Malta überlässt.

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