EU-Befürworter in Großbritannien:"Der hat nicht verstanden, wer wir als Nation sind"

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Jetzt zeigen sich auch die EU-Freunde: Lord Stuart Rose kämpft für einen Verbleib Großbritanniens in der Union. (Foto: Peter Nicholls/Reuters)
  • Die Befürworter der britischen EU-Mitgliedschaft starten ihre Kampagne.
  • Sie widersprechen denjenigen, die eine Dichotomie zwischen Europa und Großbritannien entworfen hatten.
  • Die Kampagne wird unter anderem von mehreren ehemaligen Premierministern unterstützt.

Von Christian Zaschke, London

Laut einem der gängigeren britischen Witze über die Europäische Union sind die Bürokraten in Brüssel "nicht einmal dazu in der Lage, ein Besäufnis in einer Brauerei zu organisieren". Daher hatte es eine durchaus heitere Note, dass an diesem Montag die Befürworter eines Verbleibs Großbritanniens in der EU ihre offizielle Kampagne in einer ehemaligen Brauerei im Osten Londons vorstellten. Sie heißt "Britain Stronger in Europe" und wird von Lord Stuart Rose geleitet. Rose war lange Chef des Einzelhandelsunternehmens Marks & Spencer und sitzt für die Konservativen im Oberhaus.

Zuletzt hatten sich bereits zwei Gruppen formiert, die für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU werben, die Kampagnen "Leave.EU" und "Vote Leave" (Stimm für den Austritt). Letztere ist ein parteiübergreifender Zusammenschluss, in dem sich auch viele prominente Parteispender engagieren, weshalb die Gruppe über beträchtliche finanzielle Ressourcen verfügt. Die Vorstellung einer pro-europäischen Gruppe war lange erwartet worden, weil die Debatte im Land in den vergangenen Wochen zunehmend einseitiger wurde. Bislang waren die EU-Gegner deutlich sichtbarer. Das soll sich nach dem Willen von Stuart Rose nun ändern.

Offen ist weiterhin, wann das von Premierminister David Cameron versprochene Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft stattfinden soll. Klar ist nur, dass die Briten bis spätestens Ende 2017 abstimmen, es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass bereits 2016 gewählt wird. In Westminster heißt es, dass die Volksabstimmung ursprünglich für Ende Sommer kommenden Jahres geplant war, man nun aber befürchte, dass dieser wieder ein Sommer wird, den Bilder von Flüchtlingen dominieren. Das wiederum, so die Überlegung, könnte das Lager der EU-Gegner stärken, weil diese Ängste vor einer Massen-Immigration schüren könnten. Deshalb werde nun erwogen, die Abstimmung in den späteren Herbst zu schieben.

"Wer sagt, es sei patriotisch, sich aus der EU zurückzuziehen, versteht nicht, wer wir sind."

Derzeit ist Cameron noch damit beschäftigt, die Bedingungen der britischen Mitgliedschaft neu zu verhandeln. Was er im Groben will, ist bekannt, unter anderem weniger Regulierung, ein Freihandelsabkommen mit den USA, mehr Kompetenzen für nationale Parlamente und Einschnitte bei Sozialleistungen für Einwanderer. Cameron ist in den vergangenen Monaten eifrig durch Europa gereist, um für seine Vorstellungen zu werben und nach eigener Aussage auf positives Echo gestoßen. Wie die konkrete Umsetzung im Brüsseler Apparat aussehen soll, ist allerdings offen. Für Gesetzesänderungen vor dem Referendum dürfte die Zeit zu knapp sein, wenn schon im kommenden Jahr abgestimmt werden soll. Und an einer Änderung der EU-Verträge besteht bei den meisten Mitgliedstaaten ohnehin nicht das geringste Interesse.

Kampagnen-Chef Stuart Rose sagte am Montag, es sei "das Risiko nicht wert", die EU zu verlassen. Er führte aus: "Wer behauptet, es sei der patriotische Weg, sich aus der EU zurückzuziehen und auf sich selbst zu konzentrieren, der hat nicht verstanden, wer wir als Nation sind." Damit antwortete er direkt auf diejenigen EU-Gegner, die zuletzt eine Dichotomie zwischen Großbritannien und Europa entworfen hatten, und diese mit der Aussage verknüpften, es sei patriotisch, sich in diesem Zusammenhang für Großbritannien zu entscheiden.

Zur Kampagne der Befürworter gehören unter anderem Geschäftsleute, Akademiker, Politiker, Fernsehmoderatoren und ein früherer Chef der britischen Armee. Unterstützt wird sie von sämtlichen noch lebenden Vorgängern Camerons als Premierminister, von John Major, Tony Blair und Gordon Brown, die sich allesamt für Großbritanniens Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen haben. Es wird erwartet, dass Premierminister David Cameron das Lager der Befürworter anführt, wenn er seine Verhandlungen erfolgreich beendet hat.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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