EU-Abgasnormen:Vorsprung durch Kanzlerin

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Macht für die Autoindustrie Druck in Brüssel: Kanzlerin Merkel (Foto: picture alliance / dpa)

Zwischen Berlin und Paris findet ein zäher Poker um die Pole-Position der heimischen Hersteller statt. Die Kulisse dafür liefert Brüssel, wo Kanzlerin Merkel der Autoindustrie Abgasregeln der EU ersparen will. Möglich, dass ihr das gelingt. Aber Paris stellt eine Bedingung.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Angesagt waren Small Talk, Händeschütteln und Häppchenessen, aber tatsächlich bewegte viele EU-Diplomaten am Tag der Deutschen Einheit in Brüssel eine ernste Frage: Wird es dem deutschen Botschafter am Freitag gelingen, im Kreise seiner Kollegen für die deutsche Autoindustrie laxere Umweltvorschriften durchzusetzen? Auf dem Empfang des Botschafters am Donnerstag war vor allem Schulterzucken. "Wir sind noch nicht so weit", fasste ein ranghoher deutscher EU-Diplomat zusammen. Wobei sich "wir" auf Berlin und Paris bezog. "Die Sache ist so hochpolitisch, das geht über unsere Hutschnur hier hinweg", bestätigte sein Kollege.

Zwischen Berlin und Paris findet ein zäher Poker um die Pole-Position der heimischen Hersteller im hart umkämpften Automarkt statt. Brüssel liefert die Kulisse für dieses Spiel, bei dem es vordergründig um technische Zahlen für Umweltauflagen geht, aber tatsächlich um Wettbewerbsvorteile für Unternehmen. Welcher Hersteller auf Vorteile im Wettbewerb hoffen kann, hängt davon ab, wie streng die Auflagen zum Ausstoß von Klimagas ausfallen.

Aus deutscher Sicht ist die Rechnung simpel. Dürfen Neuwagen tatsächlich - wie bisher vereinbart - von 2020 an durchschnittlich nur noch 95 Gramm Kohlendioxid ausstoßen, geraten BMW und Daimler ins Hintertreffen. Beide Konzerne stellen vor allem schwere Limousinen her, keine Kleinwagen. Deshalb fallen ihre Durchschnittsemissionen höher aus als die von Volkswagen, der vom Kleinwagen bis zur Luxuslimousine alles herstellt und deshalb im Mittelwert die Auflagen erfüllen kann. Hersteller kleinerer Wagen haben ohnehin kaum Probleme, strenge Auflagen zu erfüllen.

Sorgen der Bundeskanzlerin um die deutsche Autoindustrie

An diesem Freitag soll nun eigentlich die Entscheidung über die künftigen Grenzwerte fallen. Die litauische Ratspräsidentschaft, die die Treffen der Botschafter vorbereitet, hat angekündigt, um die Mittagszeit das schon seit Juni 2013 fertig ausgehandelte Gesetz über die neuen Grenzwerte auf den Tisch zu legen. Es muss eigentlich nur noch formal abgenickt werden. Und am Donnerstagnachmittag sieht es so aus, als ob die meisten der Botschafter am Freitag am liebsten nicken würden. Die Sorgen der Bundeskanzlerin um die deutsche Autoindustrie lassen sie kalt.

Paradox ist, dass dennoch die wenigsten glauben, dass es so kommt. Sie erinnern sich an den 24. Juni 2013. An diesem Tag sollte das Gesetz mit den Klimagas-Grenzwerten für Autos schon einmal abgenickt werden. Wozu es aber nicht kam, weil Merkel persönlich mit ein paar Anrufen erreichte, dass die damalige irische Ratspräsidentschaft das Gesetz zurückzog. In letzter Sekunde.

Und da ist das Wissen um die Beharrlichkeit der Bundeskanzlerin. Sie hat dafür gesorgt, dass das Gesetz seit Juni nie wieder offiziell auf den Tisch kam. Merkel hat sich Zeit verschafft, um über eine Allianz mit Frankreich die Grenzwerte im Sinne von BMW und Daimler aufzuweichen. Die Bundesregierung sei mit allen Beteiligten im engen Kontakt, um eine einvernehmliche Lösung zu schaffen, heißt es am Donnerstag in Berliner Verhandlungskreisen.

Streit in der französischen Regierung

Man höre "positive Geräusche aus Paris", noch sei aber nichts sicher, heißt es in Brüssel. Tatsächlich haben die deutschen Wünsche in der französischen Regierung einen formidablen Streit ausgelöst. Die meisten Minister stehen hinter ihrem Kollegen Arnaud Montebourg. Der Industrieminister hat, zusammen mit Umweltminister Philippe Martin, einen persönlichen Brief an Staatspräsident François Hollande geschrieben und ihn aufgefordert, nicht auf Merkels Linie einzuschwenken. Zugleich machte Montebourg öffentlich deutlich, was er von der Bundesregierung für ein Entgegenkommen der Franzosen erwarte: einen gesetzlichen Mindestlohn. Dass es diesen nicht gebe, "schadet uns", sagte er am Mittwoch mehreren französischen Medien, darunter Le Monde.

Das Fehlen eines deutschen Mindestlohns beschädige "in gewisser Weise die Rechte der europäischen und insbesondere der französischen Angestellten", weil sie mit "unfairer Konkurrenz" konfrontiert würden. Am Donnerstag hieß es in Paris, der Elysée fühle keine Eile zu entscheiden. Womöglich plädiere man am Freitag dafür, das Abnicken zu verschieben, etwa auf den Umweltrat in zwei Wochen.

Deutsche Unterhändler versuchen inzwischen, mit einem Trick die Mehrheit für eine Verwässerung der Grenzwerte zu bekommen. Am vergangenen Freitag verteilten sie unter den Botschaftern einen früheren, längst verworfenen Vorschlag, wonach die 95 Gramm erst 2024 statt 2020 für alle Neuwagen gelten. Mit dem Kalkül, wenn erst mal die Industrie gewonnen ist, muss diese nur die eigene Regierung überzeugen. Obendrein stammt die Idee ursprünglich aus Rom, nicht aus Berlin. In Paris zeigte der Plan die gewünschte Wirkung: Die Autobauer wollen ihn.

Italien will ihn nicht. Statt dessen löste er diplomatische Verstimmung aus, weil er suggeriert, Italien sei auf die Seite Berlins eingeschwenkt. Verstimmt sind einige Länder auch, weil sich alles verzögert. Sie wollen die Sache vom Tisch haben. Man sei "fast schon krank" vom Geschachere, klagen EU-Diplomaten aus Polen und Großbritannien.

© SZ vom 04.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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