Estland:Populisten im Aufwind

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Mit Fackeln demonstrieren Anhänger der rechtsepopulistischen EKRE in Estlands Hauptstadt Tallinn. (Foto: Ints Kalnins/REUTERS)

Am Sonntag wählen die Esten ein neues Parlament. Die nationalkonservative Partei EKRE kann Umfragen zufolge mit deutlichen Zuwächsen rechnen.

Von Kai Strittmatter, Stockholm

Fast eine Million Esten dürfen am Sonntag ein neues Parlament wählen, und eigentlich hat die Regierung um die Zentrumspartei von Ministerpräsident Jüri Ratas eine Erfolgsgeschichte zu verkaufen: Die Wirtschaft wuchs im letzten Jahr um 3,9 Prozent, die Exporte legten sogar um zwölf Prozent zu, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie schon seit zwanzig Jahren nicht mehr. Und doch blicken sowohl die Zentrumspartei als auch ihr größter Konkurrent, die rechtsliberale Reformpartei, mit einigem Bangen auf die Wahl.

Der gewaltige Geldwäscheskandal um die estnische Filiale der Danske Bank, der weltweit Schlagzeilen machte, erhielt vergangene Woche noch einmal ein neues Kapitel: Es wurde nun bekannt, dass auch die schwedische Swedbank in den Skandal verwickelt ist. Im Volk hat die Affäre für einiges Misstrauen gegenüber den Eliten gesorgt, ein Misstrauen, das vor allem die aufstrebende rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei, EKRE, zu ihren Gunsten auszuschlachten sucht.

Einer Umfrage des estnischen Rundfunks zufolge kann EKRE ihren Stimmenanteil im Vergleich zu den letzten Wahlen auf jetzt 17 Prozent fast verdoppeln. Der Zentrumspartei werden 28 Prozent, der Reformpartei 24 Prozent vorhergesagt. Damit liegen die beiden noch immer an der Spitze, allerdings könnte die Regierungsbildung kompliziert werden: Der Wahlausgang könnte die beiden Rivalen in eine große Koalition zwingen. Der 40-jährige Jüri Ratas hatte erst im November 2016 den Vorsitz der damals skandalgeplagten Zentrumspartei übernommen und die Partei wenige Wochen später mit Hilfe der Sozialdemokraten und der konservativen Vaterlandspartei an die Regierung gebracht. Anders als die vorherige Regierung der wirtschaftsliberalen Reformpartei setzte Jüri Ratas auf eine sozialere Politik, erhöhte etwa die Steuerbefreiung für Geringverdiener. Seine Zentrumspartei ist zudem traditionell populär bei der russischen Minderheit im Land. Dass Ratas' Politik an der sozialen Ungleichheit bislang nur wenig geändert hat, war ebenso Thema des Wahlkampfs wie die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte etwa nach Finnland oder Großbritannien. Unter der Abwanderung leidet vor allem die für Estland wichtige Start-up-Szene. Die Regierung versucht dem entgegenzusteuern, indem sie Fachkräfte etwa aus Russland ins Land lässt.

EKRE schlachtet den Skandal um die estnische Filiale der Danske Bank im Wahlkampf aus

Bei dem Geldwäscheskandal um die Danske Bank geht es um verdächtige Transaktionen in Höhe von mehr als 200 Milliarden Dollar, die offenbar aus Russland kommend über die estnische Filiale der Bank gewaschen wurden. Transaktionen, an denen - wie später bekannt wurde - auch die Deutsche Bank beteiligt war. Die Untersuchungen erstrecken sich bis zum Jahr 2015, fallen also in die Zeit, bevor die Zentrumspartei an die Regierung kam. Mittlerweile geloben die Führer beider großer Parteien eine Politik der "Null Toleranz" gegenüber schmutzigen Geldgeschäften. Die rechtspopulistische EKRE macht dennoch Wahlkampf mit dem Skandal. Ihr Vorsitzender Mart Helme schrieb Anfang der Woche einen offenen Brief an den Generalstaatsanwalt des Landes, in dem er forderte, alle Informationen über die Rolle estnischer Mittelsmänner müssten noch vor den Wahlen veröffentlicht werden.

Wie andere rechtspopulistische Parteien im Rest Europas zeichnet sich EKRE durch eine Rhetorik aus, die konservative Familienwerte hochhält, Homosexualität verurteilt und Furcht vor Migration und Überfremdung schürt. Ein Bericht der Denkfabrik European Council on Foreign Relations vom vergangenen Jahr beschreibt EKREs Nationalismus als "ausgesprochen intolerant und populistisch", getragen von "konfrontativer Verachtung für die EU, liberale Werte und die regierenden Eliten". Die Partei erfuhr einen ersten Popularitätsschub, nachdem Estland als erstes aller zentral- und osteuropäischen Länder 2014 homosexuelle Partnerschaften anerkannte, ein weiterer folgte mit der Flüchtlingskrise von 2015. Außerhalb von EKRE gibt es in Estland allerdings noch immer einen starken gesellschaftlichen Konsens, was die Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union oder der Nato und damit zusammenhängende sicherheitspolitische Fragen angeht - dafür sorgt schon der nervöse Blick auf den großen Nachbarn im Osten, Russland. Die beiden großen Parteien haben deshalb klar gemacht, dass sie den Rechtspopulisten keinerlei Einfluss auf die künftige Regierungspolitik gewähren wollen.

Estland ist bekannt als ein Vorreiter der Digitalisierung von Regierung und Verwaltung. Wähler können ihre Stimme auch elektronisch abgeben, von jedem internetfähigen Computer weltweit aus. Sie taten das in einer Weltpremiere erstmals bei den Parlamentswahlen von 2007. Diesmal haben knapp 350 000 Bürger, das sind fast 40 Prozent der Wählerschaft, ihre Stimme schon im Vorfeld abgegeben, 274 232 davon elektronisch. Das ist ein neuer Rekord: Bei den Lokalwahlen 2017 hatte es erst 186 000 elektronische Stimmabgaben gegeben.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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