Ermittlungen zu Kiesewetter-Mord:Rauschen, Hämmern und zwei Schüsse

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Hier prallte die Kugel gegen die Wand: Ermittler Axel Mögelin (links) am Tatort neben dem NSU-Auschussvorsitzenden Wolfgang Drexler. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)
  • Der NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags hat den Ort in Heilbronn, an dem die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen wurde, inspiziert.
  • Bei der Tatort-Begehung ergeben sich bei einigen Abgeordneten Zweifel an der Theorie, dass mehr als zwei Täter an dem Mord beteiligt gewesen sein sollen.
  • Zeugen wollen nach der Tat blutverschmierte Männer gesehen haben. Mehrere Abgeordnete äußern Zweifel. Sie sind überrascht von den großen Entfernungen am Tatort.

Von Josef Kelnberger und Tanjev Schultz, Heilbronn

Das Einsatzfahrzeug trägt die Farben Weiß und Grün, wie man sie damals bei der baden-württembergischen Polizei verwendete. Es steht an diesem Montag, wie seinerzeit das Original, neben dem Trafohaus auf der Theresienwiese. Das Kennzeichen beginnt mit den Buchstaben GP, für Göppingen. So war es auch bei dem Dienstwagen, den die Beamten Michèle Kiesewetter und Martin A. fuhren, als sie am 25. April 2007 einen Routineeinsatz in Heilbronn hatten. Sie machten gegen 14 Uhr Pause, rauchten eine Zigarette bei offenem Fenster. Die Täter kamen wohl von hinten. Der erste Schuss verletzte Martin A. schwer, der zweite kurz darauf tötete Michèle Kiesewetter.

Das Trafohaus ist frisch gestrichen, aber die Spur des Schusses auf Kiesewetter ist noch zu erkennen. Von einer "Anprallmarke" spricht Kriminaloberrat Axel Mögelin, der den Landtagsabgeordneten erklärt, was die Polizei über die Geschehnisse jenes Tages weiß. Mögelin kniet neben dem Auto, das der Simulation dient, und deutet mit dem Finger auf die echte Delle in der Wand.

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Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss am Tatort: Das ist neu bei der Aufarbeitung der Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Das Stuttgarter Gremium hat sich bereits zuvor viel Respekt verschafft. Bei den Befragungen, die sich mit der rechtsextremen Heilbronner Szene befassten, wurden Fehler der Polizei bloßgelegt, doch lässt sich erahnen: Unterstützer hatte der NSU in diesem Kreis nicht. Nun geht es um den Kern des NSU-Komplexes in Baden-Württemberg.

Dass Kiesewetter starb, war Zufall

Als der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) um eine Schweigeminute für Kiesewetter und die neun weiteren Mordopfer des NSU bittet, wird deutlich, wie heikel diese Ermittlungen sind. Passt die Polizistin in die Reihe mit Männern, die Wurzeln in der Türkei und Griechenland hatten? Starb sie zufällig als Repräsentantin des Staates? Oder hat ihr Tod etwas mit ihrer Herkunft aus Thüringen zu tun, wo die Wurzeln des NSU liegen? Die Spekulationen nehmen kein Ende.

Der Augenschein am Tatort hilft, sich grundlegende Fakten in Erinnerung zu rufen. Es handelt sich nicht nur um den Mord an Kiesewetter - es war ein Anschlag auf zwei Polizisten. Je ein Schuss. Dass Kiesewetter starb und A. überlebte, war Zufall. Es hätte auch umgekehrt sein können. Und der LKA-Beamte Mögelin sagt: Für einen Angriff auf Polizisten sei dies "kein schlechter Ort gewesen". Zwar führen ein Radweg und die Bahnstrecke vorbei, zwar bauten Schausteller auf dem Festplatz gerade das Frühlingsfest auf.

Aber Polizisten machten auf der Theresienwiese immer wieder Pause, so war es auch schon an den Tagen zuvor. Hier habe man Polizisten attackieren können, die "völlig arg- und wehrlos" gewesen seien. Großes Glück gehört - aus Sicht der Schützen- trotzdem dazu, unerkannt zu entkommen. Selbst wenn sie jemanden hatten, der für sie Schmiere stand, wofür es bislang keinerlei Beleg gibt.

Beschreibungen von Zeugen passen nicht auf Böhnhardt und Mundlos

Es ist an diesem Montag sehr laut rund um den Tatort. Das Rattern der Züge, das Rauschen des Autoverkehrs, hinzu kam damals das Hämmern der Arbeiter an den Fahrgeschäften. Auch damit erklärt man sich, dass wenige Zeugen die Schüsse hörten. Umso erstaunlicher wirken Aussagen von Zeugen, die Schüsse noch aus großer Entfernung gehört haben wollen. Eskortiert von Polizei und Journalisten schreiten die Abgeordneten die Umgebung des Tatorts und den Standort von Zeugen ab.

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Mehrere wollen nach der Tat blutverschmierte Männer gesehen haben; ihre Beschreibungen passen nicht auf die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Aber sind diese Beschreibungen, die einander teils widersprechen, plausibel: blutverschmierte Mörder, die bis zu zwei Kilometer vom Tatort entfernt vom Polizeihubschrauber aufgeschreckt werden? Mehrere Abgeordnete äußern Zweifel. Sie sind überrascht von den großen Entfernungen; beim Aktenstudium hätten sie sich das anders vorgestellt. Nikolaos Sakellariou (SPD) sagt, die Kollegen vom Bundestagsausschuss hätten vielleicht andere Einschätzungen getroffen, wenn sie selbst eine Ortsbegehung gemacht hätten.

Er spielte wohl auf Munkeleien über mehr als zwei Täter an. Wer solche Theorien vertritt, verweist gern auf Zeugen, die rund um die Theresienwiese blutverschmierte Personen bemerkt haben wollen. Die Ortsbegehung hat bei den Abgeordneten eher Zweifel genährt, ob diese Zeugen überhaupt etwas gesehen haben, das mit dem Anschlag zu tun hatte. Es bleiben die bekannten Fakten: Beide Tatwaffen wurden bei Böhnhardt und Mundlos gefunden, in ihrem Quartier fand sich auch eine Jogginghose mit Spuren von Kiesewetters Blut. Und das Kennzeichen eines Wohnmobils, das Böhnhardt angemietet hatte, wurde kurz nach der Tat in der Nähe von Heilbronn registriert.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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