Ermittlungen gegen den NSU:"Kriegen Sie da bloß nichts raus"

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Thüringer LKA-Chef Werner Jakstat sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt.

Werner Jakstat, Präsident des Thüringer Landeskriminalamtes, spricht am 29.05.2013 auf einer Pressekonferenz in Erfurt

(Foto: dpa)

Ein Polizist wirft dem Thüringer LKA-Präsidenten Jakstat vor, die NSU-Ermittlungen behindert zu haben. Der Beamte hatte 2003 einen Zeugen befragt, der den untergetauchten Uwe Böhnhardt in Jena gesehen haben wollte. Zuvor soll er jedoch von höchster Stelle aufgefordert worden sein, nichts zu ermitteln.

Von Hans Leyendecker und Tanjev Schultz

Jahrelang fahndete das Landeskriminalamt (LKA) Thüringen nach drei Neonazis, die mit Sprengstoff hantiert hatten und 1998 untergetaucht waren. In Steckbriefen mit den Fotos des Trios bat das LKA damals die Bevölkerung "um Mithilfe": Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos würden "wegen Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens" gesucht. "Letzter Aufenthaltsort" des Trios sei die Stadt Jena gewesen.

Im Juni 2003 gab es einen vielversprechenden Hinweis aus der Szene: Ein Informant gab an, Böhnhardt im August oder September 2002 in Jena getroffen zu haben. Und Böhnhardt sehe immer noch so aus wie zum Zeitpunkt der Flucht.

Zwei Beamte wollten den Zeugen vernehmen. Kurz bevor sie losfuhren, soll ein Vorgesetzter am Telefon die Order gegeben haben: "Fahrt mal raus, damit keiner sagen kann, wir hätten gar nichts gemacht." So erinnert sich jedenfalls ein Polizeibeamter an den Auftrag. "Aber wir sollten nichts ermitteln. Es wurde explizit gesagt: Kriegen Sie da nichts raus." Sie trafen den Zeugen, fertigten einen Ermittlungsvermerk - und das war es. Der Beamte: "Es gab dann keine weiteren Ermittlungen, weil das von ganz oben unterbunden wurde. Für uns war die Sache damit erledigt."

Ganz oben - das soll angeblich der damalige Ständige Vertreter des Präsidenten im Landeskriminalamt, Werner Jakstat, gewesen sein. Jakstat ist seit dem 1. Oktober 2010 Präsident der Behörde. Er "kann dazu nichts sagen. Ich kenn' das nicht, was Sie da sagen, es gibt kein Interview. Das ist nicht autorisiert", stotterte er am 5. Dezember vor einem Zeugenauftritt vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss in die Kamera von Report Mainz. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung am Dienstag sagte Jakstat, es sei zu keiner Zeit eine Anweisung erteilt worden, "einem Zeugenhinweis nicht nachzugehen".

Der Fall, Jakstats Stottern und die Aussage des Beamten waren am Dienstagabend Thema in der Sendung des TV-Magazins zu sehen. 5.18 Minuten dauerte der Beitrag. Der Informant war nicht zu erkennen, seine Stimme war nachgesprochen. Doch er hat seine Aussage, wie die Redaktion versichert, an Eides statt abgegeben. Eine falsche Eidesstattliche Versicherung, die nicht vor einem Richter abgegeben wird, hat keine Folgen. Aber der Beamte muss davon ausgehen, dass möglicherweise Ermittlungen aufgenommen werden und sein Name dann doch bekannt wird. Bei dem Informanten handele es sich um einen Beamten, sagt Report Mainz. Seine Aussage sei sehr ernst zu nehmen.

Sah so der Heimatschutz in Thüringen aus? Hatte irgendjemand ganz oben seine schützende Hand über dem Trio, das später als NSU-Terrorzelle aufflog? Oder phantasiert da ein Beamter, der möglicherweise Jakstat Böses will? Es ist der Stoff, aus dem Geschichten sind. Und Verschwörungstheorien: Normalerweise gibt ein Chef nie solche Anweisungen, selbst wenn er möchte. Aber was ist im Fall NSU schon normal? Wie kann man Versagen von Vorsatz unterscheiden? Warum dilettieren Behörden in Serie? Vier Untersuchungsausschüsse haben in den vergangenen Monaten seltsame Einblicke in das normale Chaos in den Ämtern geliefert. Dass sie ihr Handwerk nicht beherrschten, dass sie Pech hatten, oder abgelenkt waren - das ist die eine Seite. Die Recherchen der TV-Macher werfen eine ganz andere Frage auf: Wurden Ermittlungen gezielt verhindert oder zumindest behindert? Wenn ja, warum?

"Da kursierten verschiedene Theorien", sagt der Informant im Film. "Ein erfahrener Kollege hat gesagt: Da gibt es ein Zeugenschutzprogramm. Wir sind schließlich davon ausgegangen, dass sich eine andere Behörde damit beschäftigt, also der Verfassungsschutz."

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