Donald Tusk hat Historisches geleistet: Erstmals seit der demokratischen Wende 1989 ist ein Premier in Polen wiedergewählt worden. Doch die Wähler haben noch einen anderen Mann zum Sieger der gestrigen Wahl gemacht. Mit knapp zehn Prozent der Stimmen ist die "Bewegung zur Unterstützung Palikots" (Ruch Poparcia Palikota; RPP), gegründet von dem früheren Abgeordneten Janusz Palikot, überraschend zur drittstärksten Kraft im Parlament geworden.
Die Gruppierung bezeichnet sich als antiklerikal und ultraliberal, sie fordert die strikte Trennung von Kirche und Staat, eine Lockerung des Abtreibungsverbotes nach westeuropäischem Vorbild, den Abbau der Bürokratie sowie des EU-Apparats. Staatsbetriebe sollen privatisiert, die Freiheit im Internet gewährleistet und die Homoehe anerkannt werden.
Landesweites Aufsehen erregte Palikot mit politischen Happenings und Provokationen - in eine Fernsehsendung über Korruptionsfälle rund um die EM 2012 in Polen und der Ukraine brachte er 2008 der "Fußball-Mafia" einen abgeschnittenen Schweinekopf mit. Allerdings ist er weit davon entfernt, sich als politischen Clown zu sehen; er ist ein erfahrener Abgeordneter, fast zwei Legislaturperioden gehörte er der PO an und leitete sogar auch einen Parlamentsausschuss.
Junge Polen sind von Tusk enttäuscht
Erste Analysen ergeben, dass Palikot vor allem dem Demokratischen Linksbündnis (SLD) und der regierenden Bürgerplattform (PO) unter Premier Donald Tusk Stimmen weggenommen hat. Der Regierungschef hat sich seit 2007 vom Rechtsliberalen zum traditionsbewussten Konservativen gewandelt.
Bei zwei Wählergruppen hat Palikot deshalb besonders viele Stimmen erhalten: Bei den Jungwählern bis 25 Jahren und bei der aufstiegsorientierten Generation zwischen 30 und 40 Jahren. Ein Großteil der jungen Polen ist von Tusk stark enttäuscht. Dieser hatte vor vier Jahren umfassende Reformen und eine Liberalisierung der Staatsmacht angekündigt, aber dann nur einen kleinen Teil dieser Projekte mit Verzögerung in Angriff genommen.
Den Staatsapparat hat er nicht abgebaut, sondern ausgebaut und zudem sämtliche Schlüsselpositionen mit eigenen Gefolgsleuten besetzt. Auch unter Tusk blühte also die traditionelle polnische Vetternwirtschaft. So sieht gerade die junge und gut ausgebildete Generation ihre Aufstiegschancen blockiert.
Zudem steht die PO nach mehreren anrüchigen Finanzaffären im Geruch, die Partei der Kungler zu sein - für junge Menschen, die noch Ideale haben, ist sie also kaum wählbar. Dass Palikot überdies auf Formen des politischen Protestes aus der Jugendkultur setzte, brachte ihm bei der Internetgeneration zusätzliche Punkte ein.
Zu den Kandidaten seiner Partei gehören Geschäftsleute, Vertreter der alternativen Kulturszene sowie der bekannteste polnische Schwulenaktivist, Robert Biedron. In den neunziger Jahren kaufte der Unternehmer für eine geringe Summe eine Wodkafabrik, die ihn zum Multimillionär machte.
Palikots Überraschungserfolg ist durchaus ein historischer Einschnitt, weil erstmals eine offen antiklerikale Gruppierung den Einzug ins Parlament geschafft hat. Als die postkommunistische SLD vor einem Jahrzehnt an die Regierung kam, ist sie viele Kompromisse mit der Kirche eingegangen. So hat sie die Subventionen für kirchliche Einrichtungen ebenso wenig angetastet wie das Abtreibungsverbot. Palikots Aufstieg steht auch für die Ratlosigkeit der katholischen Kirche Polens angesichts des großen Modernisierungsschubes des Landes, der auch die Gesellschaft immer mehr verändert.
Doch haben die Wahlen auch bestätigt, dass das Land nach wie vor katholisch-konservativ tickt: 80 Prozent der Wähler haben sich für Kandidaten entschieden, die die traditionellen Werte der polnischen Nation propagieren. Allerdings hat nur jeder zweite Wahlberechtigte von seinem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Von dieser allgemeinen Politikverdrossenheit hat wiederum Palikot profitiert.