Es ist ein Zeichen der Entspannung. Ein kleines zwar, aber immerhin. Als die türkische Botschaft in Berlin am Donnerstagmorgen verlauten lässt, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bei seinem Deutschlandbesuch Ende kommender Woche keine große Rede vor Tausenden Anhängern halten wird, dürfte das Aufatmen in der Bundesregierung groß gewesen sein. Nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit gab es bis ins Bundespräsidialamt hinein die Sorge, Erdoğan könnte wie 2014 und 2015 vor großem Publikum mit harschen Tönen das extrem komplizierte deutsch-türkische Verhältnis noch weiter belasten.
Entsprechend intensiv waren im Vorfeld des Staatsbesuchs die Bemühungen, die türkische Seite von Signalen der Entspannung zu überzeugen. Die Berater des Bundespräsidenten und der Kanzlerin haben in Gesprächen mit ihren türkischen Kollegen versucht, Erdoğan und seinen Leuten nahe zu bringen, wie wichtig es auch für die türkische Seite wäre, jetzt auf Provokationen zu verzichten. Geholfen hat dabei, dass auch die Regierung in Ankara derzeit ein Interesse daran hat, die Beziehungen zu Berlin und Brüssel wieder zu verbessern. Der tiefe Konflikt mit den USA hat die türkische Wirtschaftskrise verschärft, die Lira stürzt immer weiter ab, Ankara sucht Unterstützung aus Europa.
Das Verhältnis zwischen Nordrhein-Westfalen und Ditib ist unterkühlt
Dass Erdoğan von der Deutschlandreise durchaus eigene Vorstellungen hatte, plauderte er persönlich aus, vor türkischen Journalisten auf einem Flug aus Baku. Da sagte er, "so Gott will", werde er am 29. September die Kölner Großmoschee eröffnen. Erdoğan bestätigte dabei, quasi nebenbei, was viele Kritiker seit Jahren bemängeln: die extreme Nähe des Trägervereins Ditib zur Regierung in Ankara und zum staatlichen Religionsamt dort, genannt Diyanet. "Unsere Diyanet hat in Köln eine schöne Moschee gebaut", sagte Erdoğan - ohne zu erwähnen, was Ditib selbst lieber verbreitet: dass der helle, bis zu 55 Meter hohe Bau vor allem durch Spenden von Gläubigen finanziert wurde.
Für weiteren Ärger in Düsseldorf aber sorgte, was der Präsident über den Wolken ebenfalls verkündete: "In Köln wird uns der Ministerpräsident des Landes begleiten." Nachdem diese Nachricht am Dienstag in Köln ankam, als "aktuelle Mitteilung" der Ditib, dementierte die Staatskanzlei in Düsseldorf am Mittwoch. Regierungschef Armin Laschet (CDU) erklärte, er sei zu "offenem Austausch und Dialog" bereit. Aber eine gemeinsame Eröffnung der Kölner Ditib-Moschee "erscheint dazu nicht der geeignete Ort zu sein". Lieber wolle er den Staatsgast anderswo "protokollarisch empfangen". Das genaue Programm für Erdoğans Stunden am Rhein wird noch ausgetüftelt, "Details liegen nicht vor", heißt es in Düsseldorf.
Hintergrund der Mühe um Distanz ist das zerrüttete Verhältnis zwischen dem Land NRW und der Kölner Ditib-Moschee, die schon seit Sommer 2017 genutzt wird. Bereits Ende 2016 empörte sich die damals noch rot-grüne Landesregierung, dass der türkische Staat offenbar von Ankara bezahlte Imame "als Spione" in Köln und Düsseldorf eingesetzt habe, um Erdoğan-Kritiker, vor allem Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, aufzuspüren. Gülen wird von der türkischen Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich gemacht.
Die Kooperation zwischen dem Land und Ditib wurde eingefroren und bis heute nicht wieder enteist. Entsetzen löste im Frühjahr ein Video aus einer Ditib-Moschee in Herford aus, das Kinder in Kampfuniformen zeigte. Ditib müsse sich endlich aus seiner Abhängigkeit von Ankara lösen "und zu einer deutschen Institution werden", wurde gefordert. Davor hatte Laschet in seiner Heimatstadt Aachen sehr wohl eine Ditib-Moschee eröffnet, deren liberales Islamverständnis der CDU-Politiker ausdrücklich lobte. "Der Islam ist Teil unserer Gesellschaft. Wenn hier 1,5 Millionen Muslime leben, gehört er zu Nordrhein-Westfalen", sagte Laschet dort.
Am Freitag reist bereits der türkische Finanzminister an -Erdoğans Schwiegersohn
Mehrere Demonstrationen in Düsseldorf und Köln sind nach Angaben der Polizei bereits angemeldet. Auch in Berlin soll es Proteste gegen den Erdoğan-Besuch geben, unter anderem von Amnesty International und Reporter ohne Grenzen für inhaftierte türkische Journalisten.
Auch die Bundesregierung hofft darauf, dass Ankara zu Hafterleichterungen oder sogar Freilassungen von inhaftierten deutschen und türkischen Journalisten bereits ist. Für einen Neuanfang im Verhältnis beider Staaten reichten schöne Worte nicht aus. Seit mehr als einem Jahr stand der türkische Staatsbesuch bereits zur Debatte, als Präsident ist Erdoğan in Berlin noch nie empfangen worden. Vor den türkischen Wahlen im Juni wollte man ihm in Berlin keine Bühne geben. Jetzt sieht man eine Chance, die Beziehungen zu verbessern, auch ohne der türkischen Seite Hoffnungen auf direkte finanzielle Hilfen zu geben.
Am Freitag wird bereits der türkische Finanzminister Berat Albayrak - Erdoğans Schwiegersohn - in Berlin erwartet. Er wird neben Finanzminister Olaf Scholz deutsche Wirtschaftsvertreter treffen. Albayrak kündigte am Donnerstag in Istanbul an, die Türkei werde künftig bei öffentlichen Ausgaben sparen und weniger neue Großprojekte - sie waren bisher Erdoğans Stolz - anpacken. Das Wachstum in der Türkei werde 2018 nur noch 3,8 Prozent betragen, und 2019 nur 2,3 Prozent, deutlich weniger als die vorhergesagten 5,5 Prozent.