Es ist ein Dauerkonflikt: Der Gesetzgeber will an die Daten der Bürger ran, Karlsruhe bremst die Sammelwut. So geht das seit Jahren, von der Rasterfahndung bis zur Vorratsdatenspeicherung. Insofern folgte der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu den Telekommunikationsdaten vom vergangenen Frühjahr einem vertrauten Ritual. Am Donnerstagabend hat der Bundestag die notwendigen Korrekturen beschlossen, und auch er hält an einer Gewohnheit fest: Er bleibt nah an der Verfassungswidrigkeit.
Das Gesetz regelt die Voraussetzungen, unter denen Bestandsdaten beim Provider abgerufen werden können, also beispielsweise Name, Adresse, Geburtsdatum, Gerätenummer. Ob Polizei und Staatsanwälte nun gegen Räuber oder Steuerhinterzieher ermitteln, fast immer ist wichtig zu wissen, wer hinter einer Telefonnummer steckt. Oder hinter einer IP-Adresse, der digitalen Spur beim Surfen im Internet. Das ist ein echtes Massengeschäft: 2008 gab es mehr als 26 Millionen Abfragen von rund 100 Behörden bei 120 Telekommunikationsunternehmen.
Fragwürdige Ausweitung des Zugriffs
Karlsruhe hat im Grundsatz anerkannt, dass solche Daten beispielsweise für die Polizei wichtig sind, und beim alten Telekommunikationsgesetz nur an zwei Punkten Korrekturen verlangt: beim Umgang mit den IP-Adressen sowie beim Zugriff auf PIN-Codes und Passwörter. Tatsächlich hat der Bundestag nun einige rechtsstaatliche Sicherungen eingebaut. Über den Zugriff auf PIN-Codes muss künftig ein Richter entscheiden. Zudem gibt es jetzt Benachrichtigungspflichten.
Fragwürdig ist allerdings eine seltsame Ausweitung des Zugriff: Gespeicherte Daten sollen nicht nur bei der Verfolgung von Straftaten, sondern auch von Ordnungswidrigkeiten abrufbar sein.
Zum Beispiel beim Falschparken: Weil in naher Zukunft immer mehr Autos internetfähig werden, könnte bereits ein Knöllchen genügen, um die Daten beim Provider abzurufen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar fordert daher, die Abfrage auf gravierendere Delikte zu begrenzen. So hat es das Verfassungsgericht im Vorratsdatenurteil formuliert.
"IP-Adressen sagen etwas über Aktivitäten"
Vor allem aber will Schaar eine Bestandsaufnahme: "Die sehr vielfältigen staatlichen Auskunftsvorschriften bedürfen dringend einer Bewertung und Begrenzung", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Und zwar, weil die scheinbar so harmlose Bestandsdatenauskunft ihre große Zeit noch vor sich hat - sobald die Umstellung des Internetprotokolls auf den neuen Standard IPv6 vollzogen ist. Damit lassen sich Internetaktivitäten noch präziser nachvollziehen.
Und weil sich über das so genannte "Internet der Dinge" künftig vieles überwachen und steuern lässt - die Zustellung von Paketen, das Garagentor, die Heizung im Ferienhaus -, fallen weitere IP-Adressen an, die den Sicherheitsbehörden einen tiefen Einblick in den Alltag der Menschen gewähren können. "Die IP-Adressen sagen letztlich etwas über die Aktivitäten der Menschen aus", prognostiziert Schaar. Am Ende wird doch wieder Karlsruhe entscheiden. Eine Klage wurde bereits angekündigt.