Entlassung von Straftätern:BGH uneins über Sicherungsverwahrung

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Juristischer Grundsatzstreit: Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes will gefährliche Verbrecher nicht aus der Haft entlassen. Doch es gibt Widerspruch aus dem eigenen Haus.

W. Janisch

Der Bundesgerichtshof (BGH) will den juristischen Grundsatzstreit um die Entlassung gefährlicher Straftäter aus der Sicherungsverwahrung klären. Der in Leipzig ansässige 5.Strafsenat des Gerichts ist der Auffassung, gefährliche Straftäter könnten auch dann weiter eingesperrt werden, wenn sie nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom Dezember 2009 entlassen werden müssten. Weil jedoch der 4. Strafsenat des Gerichts anderer Auffassung ist, fragt der Leipziger Senat bei den übrigen vier Senaten an, ob sie auf seine Linie einschwenken. Sollte der Dissens bestehen bleiben, muss der Große Senat für Strafsachen entscheiden.

Ab sofort müssen Gerichte die Gefährlichkeit der Betroffen nach der Sicherungsverwahrung prüfen. (Foto: dpa)

Der EGMR war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Streichung der früher geltende Höchstfrist von zehn Jahren im Jahr 1998 gegen das Rückwirkungsverbot der Menschenrechtskonvention verstößt. Denn der Gerichtshof stuft die Sicherungsverwahrung als eine zweite Strafe ein, da es in Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe.

Die Oberlandesgerichte Frankfurt am Main, Hamm, Schleswig und Karlsruhe hatten daraufhin entschieden, dass die "Altfälle" - also die vor dem Jahr 1998 verurteilten Täter - nach Ablauf der seinerzeit geltenden Höchstfrist von zehn Jahren Sicherungsverwahrung zu entlassen sind. Dagegen wollten die Oberlandesgerichte Stuttgart, Celle und Koblenz die Sicherungsverwahrung ungeachtet des Straßburger Richterspruchs andauern lassen, wenn die Betroffenen weiter gefährlich sind.

Dieser Linie will sich der 5. BGH-Strafsenat anschließen. Allerdings mit einer Einschränkung: Nur wenn eine "hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen" bestehe, dürften jene Täter weiter eingesperrt bleiben, die nach dem Straßburger Urteil eigentlich auf Entlassung hoffen könnten.

Dass der Leipziger Strafsenat aus dem Urteil des EGMR keinen Automatismus zur Entlassung der mindestens 70 davon betroffenen Sicherungsverwahrten ableitet, begründet er mit dem "eindeutigen Willen des Gesetzgebers": Der Bundestag habe 1998 die rückwirkende Verlängerung der Höchstfrist unmissverständlich angeordnet. Der Senat sieht daher keine Möglichkeit, der Menschenrechtskonvention den Vorrang vor dem klaren Willen des Gesetzgebers einzuräumen. Er beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Konvention zwar bei der Auslegung von Gesetzen zu berücksichtigen ist, aber nicht zwingend eins zu eins umgesetzt werden muss. Im Frühjahr werden sich auch die Verfassungsrichter wieder mit dem Thema Sicherungsverwahrung befassen.

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