Der Autor Herfried Münkler lehrt Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. 2009 erschien von ihm "Die Deutschen und ihre Mythen", das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde.
Die Aufregung über die Veröffentlichung geheimer Papiere zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan durch das Internetportal Wikileaks ist eher kurz und von geringer Intensität gewesen. Im Vergleich dazu ist die Debatte über die Veröffentlichung von Häuserfassaden durch Google Streetview erheblich intensiver. Das Staatsgeheimnis, so scheint es, hat die Konkurrenz um die knappe Ressource Aufmerksamkeit gegen die Privatsphäre und alles, was ihr zugerechnet wird, verloren.
Das ist nicht immer so gewesen: Als vor Jahrzehnten in den USA die Vietnampapiere oder auch die Dokumente zur Watergateaffäre veröffentlicht wurden, erhob sich ein Sturm der Entrüstung über das, was Staat und Politik da vor den Bürgern hatten verbergen wollen. Durch die Veröffentlichung der geheimen Dokumente waren die Mächtigen gleichsam auf frischer Tat dabei erwischt worden, wie sie die Bürger täuschten und in die Irre führten, wie sie logen und betrogen.
Die Aufdeckung der Watergateaffäre sowie die Veröffentlichung der Dokumente, die zeigten, mit welchen Tricks und Täuschungen man die amerikanische Bevölkerung dazu gebracht hatte, die Vietnampolitik ihrer Regierung zu unterstützen, waren Meilensteine des investigativen Journalismus, und sie gaben Grund für die Erwartung, dass der für die Demokratie fundamentale Kontrollanspruch der Bürger gegenüber der Regierung mit Hilfe der Medien durchgesetzt werden konnte. Die spektakulären Veröffentlichungen blieben nicht ohne Folgen: ein Präsident und seine Entourage wurden aus den Ämtern gejagt und neue Gesetze verabschiedet, die Politik wurde geändert und schließlich auch die Macht des Präsidenten beschränkt. Verglichen damit hat die Veröffentlichung der geheimen Afghanistanpapiere nur einen Sturm im Wasserglas hervorgerufen.