Energiewende:Nach dem Ende ist vor dem Ende

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Atomkraftwerke verschwinden, doch neue Probleme kommen.

Von Michael Bauchmüller

Für den langen Abschied von einer kurzen Ära haben die Stadtwerke Neuwied extra eine Webcam installiert. Tag für Tag dokumentierte sie, wie ein Spezialbagger den Kühlturm des einstigen Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich abnagte - bis zum kontrollierten Kollaps Anfang August. Im Zeitraffer sehen die Bilder der Webcam aus, als würde jemand in Windeseile einen Wollpulli aufdröseln. "Er ist weg", jubelten die Stadtwerke am Ende.

Knapp zwei Dutzend Atomanlagen im Land sind davon noch weit entfernt. 22 Reaktoren befinden sich derzeit im sogenannten "Rückbau", durch den Atomausstieg kommen in den nächsten Jahren noch sieben große Kernkraftwerke hinzu. Es läuft das komplexeste und teuerste Verschrottungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Und buchstäblich ist das erst der Anfang vom Ende.

Diesen Dienstag kommen Atomaufseher aus aller Welt in Berlin zusammen, sie wollen darüber beraten, wie sich so ein Abschied sauber bewerkstelligen lässt. Nicht nur im Betrieb müsse die Sicherheit der Kraftwerke gewährleistet sein, sagt Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). "Das gleiche gilt für die Zeit danach, bis hin zum Abbau." Gerade dafür brauche es den Austausch unter Experten.

Die Atomaussteiger aus Deutschland können dabei auf einige Erfahrung verweisen. Mit dem Kernkraftwerk Niederaichbach in Niederbayern wurde in den Neunzigerjahren europaweit zum ersten Mal ein Reaktor bis zur grünen Wiese zurückgebaut. Auch am Main, wo mit dem AKW Kahl einst das erste kommerzielle Atomkraftwerk stand, war 2010 wieder ein Acker. Selten aber gestaltet sich das Ende so symbolhaft wie beim Kühlturm in Mülheim-Kärlich. "Die Hauptarbeit beim Rückbau vollzieht sich im Inneren der Anlagen", heißt es beim Essener RWE-Konzern, der einst Kahl zur kahlen Wiese machte und nun in Gundremmingen und Biblis auf das Verschwinden einstiger Ertragsperlen hinarbeitet. Um die 15 Jahre dauert es, die Atomanlagen von der Strahlung zu befreien, erst danach können sie abgerissen werden. "Unser Ziel ist es, Mitte der 30er-Jahre mit dem Thema durch zu sein", sagt ein RWE-Sprecher.

Betraut sind damit die gleichen Leute, die einst mit dem Betrieb der Anlagen Geld verdienten. Und die größten Skeptiker sind heute diejenigen, die einst gegen die Atomkraft kämpften. "Gegen den Abriss haben wir ja nichts", sagt Werner Neumann vom Umweltverband BUND, der in Hessen die Genehmigung für den Biblis-Rückbau beklagt. Nur gelange zu leicht Müll aus den Atomanlagen auf normale Deponien. Der ist zwar kaum noch kontaminiert. "Aber du kriegst irgendwann nicht mehr raus, woher dein Krebs kommt", sagt Neumann. Die Ängste der deutschen Atomära, sie leben fort.

Absehbar wird der Müll zum Problem des Atomausstiegs. Für die Brennelemente ist die Suche nach einem Endlager gerade erst angelaufen, die Zeitpläne gelten schon jetzt als unrealistisch. Und der radioaktive Schutt, der fein säuberlich in Tonnen verpackt und bei den Kraftwerken gelagert wird, soll ins Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter. Eigentlich soll es seit Jahren schon fertig sein. Doch ein ums andere Mal wurde der Termin verschoben, zuletzt auf 2027. Allerfrühestens.

© SZ vom 06.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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