Energie:Kohle für Europa

Lesezeit: 2 Min.

Viele deutsche Kraftwerke laufen nur für den Export. Das schadet der Klimabilanz - weshalb die Grünen ganze zwanzig Kraftwerke abgeschaltet sehen wollen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Der Mittwoch ist kein schlechter Tag für das Klima, eigentlich. Mittags zwischen zwölf und eins liegt der deutsche Stromverbrauch bei 71 000 Kilowattstunden. Der Tag ist vielerorts wolkig, aber der Wind ist nicht schlecht. Wasserkraft und Biomasse laufen wie immer. Insgesamt 40 000 Kilowattstunden decken am Mittag erneuerbare Energien ab, rund 56 Prozent. Im Energiewendeland Deutschland ist das nichts Ungewöhnliches mehr. Fürs Klima könnte das eine gute Nachricht sein.

Ebenso normal ist allerdings die Lage bei den fossilen Kraftwerken. Im Rheinland etwa stehen fast alle Braunkohleblöcke des RWE-Konzerns unter Dampf, insgesamt 16 Stück. Auch in der Lausitz wird fleißig Strom erzeugt - allerdings weniger für den heimischen Markt. Ein Großteil der Elektrizität fließt ins benachbarte Ausland.

Es ist noch gar nicht lange her, da geisterte die Angst vor einer "Stromlücke" durchs Land. Weil kaum noch neue Kraftwerke gebaut wurden, die letzten Atomkraftwerke aber schon 2022 abgeschaltet werden, könnten irgendwann die Lichter ausgehen. "Von so einer Lücke kann wirklich keine Rede mehr sein", sagt Felix Matthes, Energieexperte beim Öko-Institut in Berlin. "Wir erreichen in diesem Jahr einen Exportüberschuss von 60 Milliarden Kilowattstunden, das ist die Jahresproduktion von 20 Kraftwerksblöcken." Vor allem Braunkohle werde dafür verbrannt. Weil sich damit Strom billiger erzeugen lässt als mit Steinkohle oder Gas, verdrängt sie europaweit anderen konventionellen Strom. Abnehmer sind nahezu alle Nachbarländer: Frankreich, Österreich, die Schweiz, die Niederlande, Dänemark, Polen. Deutschland, größter Braunkohleförderer der Welt, ist zugleich größter Exporteur von Braunkohlestrom.

An der deutschen Klimabilanz geht das nicht spurlos vorbei, denn bei der Verbrennung von Braunkohle entsteht viel mehr Kohlendioxid als bei der von Steinkohle oder Erdgas. "Dieser Export kostet sechs Prozentpunkte des deutschen Klimaziels", sagt Matthes. "Der verdirbt uns die ganze Bilanz." Gerade erst hatte ein interner Bericht des Bundesumweltministeriums die Prognose für das deutsche Klimaziel für 2020 drastisch gesenkt; statt der angestrebten 40 Prozent würden bestenfalls 32,5 Prozent Rückgang gegenüber 1990 erreicht. Einer der Hauptgründe: Die Stromexporte seien höher als erwartet. Ganz ohne den Export des schädlichen Braunkohlestroms wäre das deutsche Klimaziel plötzlich gar nicht mehr so fern.

Das sehen die Grünen ähnlich, sie fordern die Abschaltung der 20 "schmutzigsten" Kraftwerke. "Die Aufgabe der nächsten Bundesregierung ist klar: Sie muss die Lücke schnellstmöglich schließen", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. "Dafür werden wir in Sondierungsgesprächen kämpfen." In einem offenen Brief setzte sich am Mittwoch auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen dafür ein, die "CO₂-ineffizientesten Kohlekraftwerke" stillzulegen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) warnte davor, das 40-Prozent-Ziel aufzugeben. "Das wäre auch international ein falsches Signal", sagte sie.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: