Eklat auf Erinnerungsreise türkischer Gastarbeiter:Ärger fährt mit

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Ein Zeichen der Verbundenheit sollte die Zugfahrt deutsch-türkischer Pensionäre von Istanbul nach München sein. Doch an Bord war auch der türkische Parlamentspräsident Cemil Cicek. Und der äußerte sich vor der Presse derart abfällig über Deutschland, dass es so klang, als sei der Zug auf dem Weg in Feindesland.

Kai Strittmatter

Es fährt ein Zug von Istanbul nach München. Er nimmt dieselbe Strecke wie vor einem halben Jahrhundert, als Züge wie dieser die ersten Gastarbeiter in die neue Heimat Deutschland trugen. Ankommen wird er am Sonntag, am 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens, auf Gleis 11, genauso wie damals.

Der türkische Parlamentspräsident Cemil Cicek, hier auf einem Archivfoto, sorgte für einen Eklat auf einer Erinnerungsreise türkischer Gastarbeiter. (Foto: REUTERS)

Ein Zeichen der Verbundenheit sollte die vom türkischen Staatssender TRT organisierte Zugfahrt sein: Drei Dutzend deutsch-türkische Pensionäre machen die Reise ihrer Jugend jetzt noch einmal. Aber dieser Plan ging nicht auf. Mit an Bord waren nämlich auch zwei Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Ankara, sie wollten eine deutsch-türkische Partnerschafts-Kampagne vorstellen; der Titel: "Wir sind zusammen." An Bord war aber auch Parlamentspräsident Cemil Cicek.

Und der äußerte sich vor der Presse derart abfällig über Deutschland, dass es stellenweise so klang, als sei der Zug auf dem Weg in Feindesland. Die Deutschen im Zug blaffte Cicek an, wegen der Partnerschaft mit den Deutschen hätten die Türken schon einmal "ein Imperium verloren" - eine Anspielung auf die Waffenbrüderschaft zwischen den Osmanen und dem deutschem Kaiserreich im Ersten Weltkrieg, aus dem beide als Verlierer hervorgingen.

Auf die Titelseiten aber schaffte es Cicek mit dem Vorwurf, Deutschland gebe sich als Versteck für Terroristen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK her: "In Deutschland leben doppelt so viele PKK-Mitglieder wie in den Kandil-Bergen", der PKK-Zuflucht im Nordirak. Was nur, fragt man sich jetzt auch in Berlin, trieb Cemil Cicek, einen Mann von der regierenden AKP, seine Breitseite ausgerechnet zu diesem Anlass abzufeuern? Immerhin wird Premier Tayyip Erdogan Anfang nächster Woche zu den Feierlichkeiten in Berlin erwartet.

Andererseits hat Erdogan kürzlich selbst große Irritationen ausgelöst mit seiner Behauptung, deutsche Stiftungen würden die PKK finanzieren. Außenminister Ahmet Davutoglu sprach danach von einem "Missverständnis". Doch nach Ciceks Ausfall fragen sich viele erneut: Was reitet die AKP bei ihren Deutschland-Attacken?

"Also sind wir nun die Sündenböcke"

Die PKK ist in Deutschland seit 1993 verboten; PKK-Tarnorganisationen aber sind in Deutschland aktiv. Der letzte Verfassungsschutzbericht schätzt die Zahl der Anhänger auf 11 500. Sie werben Mitglieder, und sie beschaffen Gelder. Dass Deutschland gegen diese Leute nicht so hart vorgeht, wie die Türkei sich das wünscht, habe einen einfachen Grund, sagt ein deutscher Beobachter: "Wir sind ein Rechtsstaat."

Aber es gibt offenbar einen zweiten Grund für die Attacken: Erdogan und seine Leute nutzen sie auch als Propaganda für das heimische Publikum. Denn es ist wieder Krieg im Land, die Kurdenfrage droht, außer Kontrolle zu geraten, und die AKP hat daran ihren Anteil. "Sie sind jetzt verantwortlich, sie haben keine Entschuldigung mehr", sagt Jörg Dehnert, der in Istanbul das Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung leitet: "Also sind wir nun die Sündenböcke."

In München wird der Zug am Sonntag kurz nach 14 Uhr einfahren. Den Groll des Cemil Cicek brauchen die Feiernden nicht zu fürchten: Er ist in Belgrad ausgestiegen.

© SZ vom 29.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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