Synode in Magdeburg:Die Freiheit, das Unmögliche zu fordern

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Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD, Annette Kurschus, am Sonntag vor der EKD-Synode in Magdeburg. (Foto: Jens Schlueter/imago)

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus war für ihren Appell zu Waffenstillstandsgesprächen scharf kritisiert worden. Am Sonntag bekräftigte sie ihre Haltung zum Ukraine-Krieg - und kritisierte reflexhafte Debatten.

Von Annette Zoch

"Ist der naiv!", denkt insgeheim der Fischer Simon Petrus, als Jesus ihn bittet, rauszufahren aufs Wasser und die Netze noch einmal auszuwerfen. Diesen "Fischzug des Petrus", der am Ende mit reichem Fang belohnt wird, nutzt Annette Kurschus, die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), am Sonntag als durchgehendes Motiv für ihren Ratsbericht vor der EKD-Synode in Magdeburg. Vor einem Jahr war sie von dem evangelischen Kirchenparlament zur Nachfolgerin von Heinrich Bedford-Strohm gewählt worden.

Auf tiefen, manchmal sogar in schweren Wassern ist die evangelische Kirche tatsächlich unterwegs. Angesichts von Mitgliederschwund und Spardruck steht sie vor großen Herausforderungen. Wozu wird die Kirche gebraucht? Keine andere Frage sei ihr seit ihrem Amtsantritt so häufig gestellt worden, sagt Annette Kurschus vor den Synodalen.

Doch: "Die Frage stellt eine Falle. Sie verführt dazu, permanent um unsere eigene Relevanz zu kreiseln. Eine Kirche, die immer wieder erklärt, wozu sie da ist und gebraucht wird und wer und wie viele sie gut finden und warum, langweilt und verliert ihren Charme." Die Kirche müsse "hinein in ungesichertes Gelände", wo das Klima für die Kirche wie für die Gesellschaft rauer werde.

So wie die biblischen Fischer die ganze Nacht gearbeitet und doch nichts gefangen hätten, so gehe es heute zu vielen Menschen. "Wir dürfen nie mit pausbackiger Abgefundenheit sagen: So ist die Welt. Einer wird an der Schlossallee geboren, der andere in der Badstraße. Eine erbt ein Vermögen, die andere Schulden. Kühlschrank leer, kalter Winter, Strom abgestellt, keine Pampers? Pech gehabt oder auch selbst schuld", sagt Annette Kurschus. Armut und Gerechtigkeit seien Kernthemen der Heiligen Schrift.

Arme würden oft sozial schwach genannt, doch das seien sie nicht: "Ich halte es für eine riesige soziale Stärke, mit sehr wenig Geld dafür zu sorgen, dass die Kinder ihr Eis und ihren Burger bekommen und beim Kindergeburtstag der Freundin ein Geschenk mitbringen können." Besonders in diesem Winter seien die Kirchen dringend gefragt, sozial stark zu sein. Die Kirchen dürften dabei nicht nur kritisch auf die Raumtemperatur blicken.

"Meinungen und Urteile mussten her, und zwar sofort"

Ein Sturm der Empörung war jüngst über Kurschus in der Positionierung zum Ukraine-Krieg hereingebrochen. In ihrer Predigt zum Reformationstag hatte sie sich dafür ausgesprochen, Gespräche für einen Waffenstillstand zu führen. Waffenlieferungen hält sie hingegen für gerechtfertigt. In ihrem Bericht kommt Kurschus nun darauf zurück: Der Ruf nach diplomatischen Bemühungen sei weder herzlos noch ignorant gegenüber den Menschen in der Ukraine. "Im Gegenteil. Er ist nüchtern realistisch und höchst aufmerksam für die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges."

Evangelische Kirche
:Kurschus fordert Waffenstillstandsgespräche

"Verachtet Verhandlungen nicht", sagt die EKD-Ratsvorsitzende. Die Haltung der evangelischen Kirche zum Ukraine-Krieg wird auch ein Schwerpunkt beim obersten evangelischen Kirchenparlament sein.

Von Annette Zoch

Diplomatische Bemühungen, um einen Waffenstillstand zu ermöglichen, müssten zwingend hinzukommen zur militärischen Unterstützung der Ukraine, so Kurschus. Der Kriegstreiber Wladimir Putin müsse die Angriffe stoppen, das wäre das einzig Gerechte. "Aber er macht es nicht, allein wenn wir es fordern." Wer, wenn nicht die Kirchen, hätten die Freiheit zu fordern, was unmöglich erscheint.

Kurschus kritisierte die "unselige binäre Rhetorik" zwischen Waffenlieferungen ja oder nein, Pazifismus ja oder nein. Angesteckt durch den unmittelbaren Handlungsdruck, unter dem Politiker stünden, habe es auch in der Kirche kein Halten mehr gegeben - "und kaum ein Innehalten, das gewagt hätte, das Fehlen eindeutiger Antworten auszuhalten", so die Ratsvorsitzende. "Meinungen und Urteile mussten her, und zwar sofort. Und es wurde deutlich, dass es neben der Nächstenliebe noch eine zweite Liebe gibt, nämlich die Liebe zur immer schon gehabten Lieblingsmeinung." Es sei die Pflicht der Kirche, mit den reflexhaften Reden aufzuhören und einander mehr zuzuhören.

Die noch bis Mittwoch dauernde Synode beschäftigt sich auch mit dem Klimawandel und dem Umgang mit sexualisierter Gewalt. Doch die Debatte um den Krieg in der Ukraine, das war am Sonntag bereits zu spüren, wird wohl eines der bestimmenden Themen. Der gastgebende Landesbischof der Mitteldeutschen Kirche, Friedrich Kramer, bekräftigte in seiner Predigt im Magdeburger Dom sein Nein zu Waffenlieferungen: "Müssen wir nicht um der Gerechtigkeit und Nächstenliebe willen helfen? Das ist klar. Aber auch mit Waffen?" An dieser Stelle wich er vom Redemanuskript ab und fügte hinzu: "Ich sage Nein." Kramer fuhr fort: "Könnten wir einem ungerechten Frieden zustimmen? Wir spüren, dass die Antworten uns zerreißen und unglücklich machen."

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