Ein Jahr nach der Bundestagswahl:Grüne und FDP suchen nach ihrer Identität

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Im Bundestags-Wahlkampf hatten sie ihr Image weg: Die Grünen wurden als Verbotspartei wahrgenommen, die FDP als Ansammlung kalter Egoisten. Nun suchen beide nach einem neuen Zugang zu Toleranz und Liberalität. Für die FDP ist das die letzte Chance.

Von Stefan Braun, Berlin

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov/SZ)

Die Grünen wollen keine Besserwisser mehr sein, die FDP will keine unsympathische Kälte mehr ausstrahlen. Und beide Parteien widmen sich deshalb dem gleichen Thema: der Freiheit. Was heißt Freiheit eigentlich? Was echte Liberalität? Und wie kann eine Partei das so ausstrahlen, dass die Menschen sich wieder angezogen fühlen statt davonzulaufen? Grüne und Liberale schenken dieser Frage derzeit viel Aufmerksamkeit. Die Grünen-Fraktion wird Mitte September einen Kongress abhalten, die FDP in der zweiten Jahreshälfte auf Regionalkonferenzen darüber diskutieren. Beide wissen: Wenn sie das Image nicht loswerden, das ihnen bei der Bundestagswahl schwer zu schaffen machte, werden sie auch bei der nächsten Wahl nicht besser abschneiden. Die Grünen mussten das 2013 schmerzhaft lernen, als es ihnen nicht gelang, den Vorschlag eines Vegetariertags in öffentlichen Kantinen als Empfehlung für eine gesündere Ernährung zu präsentieren.

Der Veggie-Day wurde zum Sinnbild für eine Partei, die alles besser weiß und den Menschen vieles vorschreiben und verbieten möchte. Einziger Nutzen dieses Erlebnisses: Der Partei ist nun klar geworden, wie heikel das Thema ist - und wie grundlegend die Fragen sind, die sich für eine ökologische Partei damit verbinden.

Planetenretter oder Ökospießer?

Im Einladungstext für den Kongress fragen die Autoren: "Wie verhält sich der Planetenretter zum Ökospießer? Was trennt Fracking-Verbot, Genmais-Verbot, öffentliches Alkoholverbot und Silvesterböllerverbot? Müssen Grüne sich selbst befreien? Oder sich zum Verbieten bekennen?" Klarer lässt sich das Problem nicht benennen. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hofft denn auch auf eine heftige Debatte. "Nur wenn Reibung entsteht, schaffen wir Neues." Dabei stelle sich für sie vor allem die Frage, welche ökologischen Probleme so groß seien, dass man Regeln brauche - und welche einfach Lebensstilfragen seien, "bei denen wir vielleicht was empfehlen, aber auf keinen Fall etwas vorgeben müssen?" Ihr Anliegen: "Wir dürfen nicht mehr den Eindruck erwecken, wir wollten die Menschen beglücken und wüssten quasi vor ihnen, was das Beste für sie ist."

In die gleiche Richtung weist ein erster Debattenbeitrag aus dem Südwesten. Darin haben sich einige Grüne aus Baden-Württemberg Gedanken gemacht, was Freiheit im Namen der Grünen bedeuten könnte. Zu ihnen gehören Landeswissenschaftsministerin Theresia Bauer und die Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae.

Wenig überraschend sprechen sie von einem "harten Schlag gegen das grüne Selbstverständnis", den die Veggie-Day-Debatte ausgelöst habe. Ihnen geht es vor allem um den Versuch, ökologische Ziele nicht länger durch Verbote, sondern durch gezielte Förderungen zu erreichen, seien es steuerliche Vorteile für entsprechende Investitionen oder die Schaffung von Strukturen wie Kindertagesstätten, die Familien mehr Freiheiten geben.

Mut zur Deregulierung

Passend zur wirtschaftsfreundlichen Grundlinie der Grünen im Südwesten treten sie für mehr Mut bei Deregulierung ein. "Es kann nicht sein, dass man in Deutschland 15mal so lange braucht, um ein Unternehmen zu gründen, wie in Neuseeland." Ihre Botschaft: "Freiheit im Sinne der Handlungsoptionen über die ein Mensch verfügt, ist stärker denn je von ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt." Also sollte man den Rahmen prägen, Verbote sein lassen.

Derartige Papiere gibt es bei der FDP bislang kaum. Und es steht auch nicht zu erwarten, dass die Liberalen die Frage ähnlich tiefschürfend angehen werden. Ihre Sorgen sind existenzieller: Schafft es die FDP überhaupt noch mal, gewählt zu werden. Zu kalt, zu egoistisch, zu unsozial war sie nach Analysen wahrgenommen worden. Kein Wunder, dass während der Sommerpause FDP-intern viel darüber diskutiert wird, wie viel es wohl bringt, wenn Parteichef Christian Lindner wie kürzlich mit offenem Hemd und legerem Dreitagebart zum TV-Interview antritt.

"Freiheit ist ein Lebensgefühl"

Jenseits dessen hat es sich die Partei zur Aufgabe gemacht, bis ins nächste Jahr hinein ausführlich darüber zu sprechen, wie eine moderne Liberalität aussieht und wie die FDP auftreten müsste, um sie zu verkörpern. Mitte Juli hatte Lindner auf einer Vorstandsklausur eine Linie gezogen: "Die FDP wird nicht als aggressive Nischenpartei oder AfD light erfolgreich sein", sagte Lindner, "liberale Wähler erwarten eine lösungsorientierte Gestaltungspartei, keine gesinnungsreligiöse Vereinigung." Seine Generalsekretärin Nicola Beer ergänzte: "Freiheit ist kein ideologisches Dogma. Freiheit ist ein Lebensgefühl. Das wollen die Menschen bei uns fühlen."

Ob sie sich damit durchsetzen, wird sich im Herbst auf den Regionalkonferenzen zeigen. Aber eines scheint sicher zu sein: Die Freiheit in der FDP beginnt mit der Freiheit ihrer Mitglieder, beim Überlebenskampf ein umfassendes Wörtchen mitzureden. Hoffnung gibt der Partei die Geschichte der Schwesterpartei aus den Niederlanden, der D66. Diese hatte 1994 14,5 Prozent errungen und war danach tiefer abgestürzt als die FDP, 2006 war sie bei 1,6 Prozent angekommen. Ihre Reaktion auf die Niederlage: Sie beteiligte die Mitglieder viel mehr als früher, sie gab sich ein sozial-liberaleres Programm und platzierte sich so in der politischen Mitte. Ergebnis: Bei der Europawahl im Mai ist sie in Holland zur stärksten politischen Kraft geworden.

Das Papier der Grünen finden Sie auf www.sz.de/gruenefreiheitsdebatte

© SZ vom 09.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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