Impeachment-Verfahren:Pence auf der Flucht, Pelosi womöglich in Lebensgefahr - und Trump schaute zu

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Die Demokraten präsentieren die Anklage gegen den Ex-US-Präsidenten und legen dabei beunruhigende neue Videos und Töne vom 6. Januar vor.

Von Alan Cassidy, Washington

Das Ergebnis dieses Impeachment-Verfahrens mag außer Frage stehen. Donald Trump muss dank seines anhaltenden Einflusses auf die Republikanische Partei keinen Schuldspruch befürchten, noch immer nicht. Doch der Prozess hat Bilder, Töne und Eindrücke hervorgebracht, die vielen US-Amerikanerinnen und -Amerikanern wohl noch länger im Gedächtnis bleiben werden. Szenen des Schreckens, der Schande.

Der zweite Verhandlungstag im Senat gehörte den neun Demokraten aus dem Repräsentantenhaus, die im Prozess als Ankläger fungieren, den "Impeachment-Managern". Sie dürfen 16 Stunden lang, verteilt über zwei Tage, ihre Argumente für Trumps nachträgliche Amtsenthebung darlegen. Sie werfen ihm für seine Rolle rund um die Erstürmung des Kapitols Anstiftung zum Aufstand vor. Am Mittwoch taten sie das, wie selbst einige Republikaner einräumten, mit einigem Geschick. Für diesen Freitag stand die Antwort der Anwälte Trumps auf dem Programm.

Impeachment
:Trump zürnt seinen Anwälten

Vor dem Fernseher verfolgt der Ex-Präsident den ersten Tag des Amtsenthebungsverfahrens gegen ihn. Was er sieht, macht ihn wütend. Sehr wütend.

Von Sebastian Gierke
Die Ankläger stützten ihre Plädoyers unter anderem auf bisher unveröffentlichte Videos von Überwachungskameras aus dem Inneren des Kapitols. (Foto: AP/AP)

Seine Ankläger stützten ihre Plädoyers unter anderem auf bis dahin unveröffentlichte Videos von Überwachungskameras im Kapitol. Sie zeigen, wie nahe der Mob den Politikern kam, die dabei waren, den Wahlsieg Joe Bidens zu bestätigen.

Ein Ausschnitt zeigt einen Officer der Capitol Police, der dem republikanischen Senator und Trump-Kritiker Mitt Romney bedeutet umzudrehen, als der nichtsahnend in Richtung der wütenden Trump-Anhänger schreitet.

Eine andere Sequenz verdeutlicht, wie knapp Chuck Schumer, heute Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, dem Zusammenstoß mit der Menge entging: Er wird aus dem Parlamentssaal geleitet und dreht abrupt um, rennt davon, als er vor sich Leute sieht.

In einer Sequenz ist Chuck Schumer (li.) mit seinen Sicherheitsleuten auf der Flucht zu sehen. (Foto: U.S. Senate/U.S. Senate via REUTERS)

Ein drittes Video zeigt den damaligen Vizepräsidenten Mike Pence, wie er aus einem Nebenzimmer tritt und samt Familie und Stab über eine Treppe in Sicherheit gebracht wird. Einer der Mitarbeiter soll den "nuclear football", den Atomkoffer, mit sich tragen.

Mike Pence wird mit seiner Familie in Sicherheit gebracht. (Foto: U.S. Senate/U.S. Senate TV via REUTERS)

Laut den Impeachment-Managern gerieten Politiker in Lebensgefahr. "Wir wissen von den Teilnehmern des Mobs, dass sie Nancy Pelosi umgebracht hätten, wenn sie sie gefunden hätten", sagte die Demokratin Stacey Plaskett. Sie berief sich auf Anklageschriften gegen die Randalierer. Ein Mann, der bis zum Büro der Sprecherin des Repräsentantenhauses vordrang, schrieb später in sozialen Medien: "Sie hätten die verrückte Nancy vermutlich in Stücke gerissen, aber sie war nicht mehr da."

Die Ankläger führten auch Videos vor, die Teilnehmer des Mobs aufgenommen haben. Man sieht und hört Leute, die durch das Kapitol ziehen, auf der Suche nach Kongressmitgliedern und dem Vizepräsidenten, sie rufen: "Hängt Mike Pence!" Ein Mann fragt immer wieder: "Nancy, wo bist du?"

"Wir wurden überrannt", schreit ein Polizist in sein Funkgerät

Um zu unterstreichen, wie akut die Bedrohung war, spielten die Ankläger Mitschnitte des Polizeifunks ab. Sie gaben einen Eindruck davon, wie überfordert die Polizei mit dem Ansturm Tausender Trump-Anhänger war: "Wir wurden überrannt", schreit ein Officer in sein Funkgerät, "wir ziehen uns zurück." "Wir haben mehrere Verletzte, wir brauchen Unterstützung", ruft ein anderer.

Die Senatoren schauten und hörten sich all dies in der Ratskammer an. Auch einige Republikaner wirkten laut den wenigen Journalisten, die auf die Tribüne durften, ergriffen. Sie sind im Impeachment-Verfahren nicht nur Geschworene, sondern auch Zeugen der Ereignisse. "Sie wissen selbst, wie nahe sie dem Mob kamen", sagte der demokratische Abgeordnete Eric Swalwell. Er habe die Spuren der Eindringlinge nachverfolgt und gezählt: "Sie waren nur noch 58 Schritte entfernt. Wir wissen alle, dass dieser fürchterliche Tag noch viel schlimmer hätte enden können."

Falls es noch Belege dafür brauchte, dass der Angriff aufs Kapitol nicht nur Vandalismus war, haben ihn die Impeachment-Manager wohl geliefert. Doch die andere Frage, die sich den Senatoren - und der Öffentlichkeit - stellt, ist: Was hat das alles mit Trump zu tun? Ist ihm wirklich zuzuschreiben, dass der Mob zum Parlamentssitz zog?

Für die Anklage ist die Antwort klar. Trump habe seine Anhänger nicht erst mit seiner Rede kurz vor dem Sturm aufs Kapitol aufgepeitscht. Er habe sie vielmehr mit einer monatelangen Kampagne provoziert, indem er sich erst weigerte, die Wahlniederlage zu akzeptieren. Als sie dann feststand, habe Trump in Hunderten Tweets und Kommentaren die Lüge von der gestohlenen Wahl wiederholt und seine Anhänger aufgerufen, gegen das Resultat zu kämpfen.

Auf dem von den Demokraten gezeigten Video sind auch zahlreiche Tweets des damaligen US-Präsidenten Donald Trump zu sehen. (Foto: AP/AP)

Die Rede am 6. Januar sei die logische Kulmination dieser Bemühung gewesen, so Jamie Raskin, Chefankläger der Demokraten. "Für uns mag sich das alles angefühlt haben wie Chaos und Wahnsinn", sagte er. "Aber der Wahnsinn hatte Methode." Und als es dem Mob gelang, das Kapitol gewaltsam zu stürmen und die Kongresssitzung zu unterbrechen, habe Trump im Fernsehen zugeschaut, als sei es eine Reality-Show. "Er hat es genossen", sagte Raskin.

Ob all dies reicht, um genügend Republikaner für einen Schuldspruch zu gewinnen, ist zweifelhaft

Sicher ist, dass Trump - obschon im Bilde - lange nichts unternahm, um den Mob zur Ruhe aufzurufen, der in seinem Namen wütete. Noch während Mike Pence aus dem Kapitol gebracht wurde, attackierte Trump seinen Vizepräsidenten auf Twitter. Die Demokraten zeigten ein Video eines Trump-Anhängers beim Kapitol, der den Tweet laut vorlas. Der erste Appell an seine Anhänger, nach Hause zu gehen, erfolgte erst nach Stunden in einer Videobotschaft, in der Trump seinen Unterstützern sagte: "Ich fühle euren Schmerz. Wir lieben euch, ihr seid sehr besonders."

Ankläger Joaquín Castro zeigte noch einen letzten Tweet Trumps - den er absetzte, als die Belagerung des Kapitols beendet war. "Diese Dinge passieren, wenn ein heiliger Erdrutsch-Wahlsieg so unzeremoniell und bösartig großen Patrioten genommen wird." Das sei keine Verurteilung, sagte Castro, das seien Worte des Trostes - und die Bestätigung, dass Trump von Anfang an wissen musste, worauf sein Kampf gegen die Wahlniederlage herauslief.

Ob all dies reicht, genügend Republikaner für einen Schuldspruch zu gewinnen, ist zweifelhaft. Zu groß ist in Partei und Senatsfraktion die Furcht vor dem Ex-Präsidenten und dem Zorn seiner Anhänger. Doch werden diese Republikaner ihren absehbaren Freispruch begründen müssen. Die Ankläger haben ihnen das, so viel steht fest, nicht leichter gemacht.

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