Juliana Dequis Pierre ist 29 und Mutter von vier Kindern. Ihre Eltern kommen aus Haiti, sie selbst ist in der Dominikanischen Republik geboren. Damit erfüllt sie eigentlich das seit Generationen praktizierte Kriterium für die dominikanische Staatsbürgerschaft: die Geburt auf dominikanischem Boden. Doch jetzt hat der Oberste Gerichtshof des Landes entschieden, dass Juliana ihre Staatsbürgerschaft abgeben muss. Denn: Wer Dominikaner sein will, darf nicht das Kind illegaler Einwanderer sein.*
Eine entsprechende Regel gibt es eigentlich bereits seit drei Jahren. Vorher erhielten in der Regel alle die dominikanische Staatsbürgerschaft, die nachweisen konnten, im Land geboren zu sein - ganz automatisch. Seit 2010 aber gilt in der Dominikanischen Republik eine neue Verfassung: Demnach bekommen nur die Menschen die dominikanische Staatsbürgerschaft, die im Land zur Welt kamen und mindestens einen dominikanischen Elternteil haben. Dieses Abstammungs-Kriterium ist neu im Rechtssystem des Landes.
Das Gerichtsurteil vom vergangenen Donnerstag bezieht sich nun explizit auf Kinder eingewanderter Haitianer, wie die Nachrichtenagentur AP berichtet. Haitianer in der Dominikanischen Republik, so urteilte das Gericht, befänden sich grundsätzlich im Transit. Ihren dort geborenen Kindern stünde deshalb nicht automatisch die Staatsbürgerschaft zu. Der Gerichtsentscheid gilt für alle, die nach 1929 geboren sind - und für deren Nachfahren. Das Urteil mache mehr als 200.000 Menschen staatenlos, analysiert die Huffington Post. Viele Nachkommen von Einwanderern haben nun offenbar Angst, nach Haiti zurückgeschickt zu werden.
Haiti beruft seinen Botschafter ab
Die dominikanischen Behörden prüfen den Berichten zufolge derzeit Zehntausende Geburtsurkunden und verweigern Menschen mit haitianischen Wurzeln ihre Papiere. Dem Urteil zufolge hat die nationale Wahlkommission nun ein Jahr Zeit, um eine Liste mit den Namen derer zu erstellen, die keinen Anspruch auf eine dominikanische Staatsbürgerschaft haben.
Nationale und internationale Beobachter reagierten besorgt auf die jetzige Gerichtsentscheidung. Die Vereinten Nationen kündigten außerdem an, das Urteil dahingehend zu prüfen, ob es internationale Verträge verletze. Währenddessen haben dominikanische Behörden versichert, dass sie Alternativen für die Betroffenen anbieten werden. Details nannten sie jedoch nicht.
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Haiti hat nach dem Urteil seinen Botschafter aus der Dominikanischen Republik abberufen. Die Entscheidung des Gerichts verschlechtert die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen den beiden Ländern, die sich die karibische Insel Hispaniola teilen und zwischen denen es seit dem 19. Jahrhundert immer wieder zu Konflikten kommt.
500.000 Menschen mit haitianischen Wurzeln
Fremde Mächte intervenierten regelmäßig, Haiti okkupierte die Dominikanische Republik für zwei Dekaden, Dominikaner verübten Massaker an eingewanderten Haitianern. Hinzu kam eine gegensätzliche wirtschaftliche Entwicklung. Heute ist die Dominikanische Republik ein beliebtes Reiseziel mit florierender Tourismusbranche, während Haiti zu den ärmsten Ländern der Welt gehört.
Schätzungen zufolge leben etwa 500.000 Menschen mit haitianischen Wurzeln in der Dominikanischen Republik, viele Haitianer flohen in den vergangenen Jahrzehnten vor der schlechten wirtschaftlichen Situation in ihrem Heimatland. Diese Option wird jetzt womöglich deutlich unattraktiver.
Linktipp: Ein halbstündiger Film von Al-Dschasira zeigt die Diskriminierung von Einwanderern in der Dominikanischen Republik.
* Im Mai 2014 hat das dominikanische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das sich auf das Gerichtsurteil aus dem Jahr 2013 sowie die Verfassungsänderung 2010 bezieht. Weiterhin soll gelten, dass nur diejenigen automatisch Dominikaner sind, die im Land zur Welt kommen und mindestens einen dominikanischen Elternteil haben.
Das neue Gesetz bietet jedoch eine Sonderregelung für all jene, die als Kinder illegaler Einwanderer im Land geboren wurden und bereits als dominikanische Staatsbürger registriert: Sie sollen gültige Papiere bekommen und werden ihre dominikanische Staatsangehörigkeit nicht verlieren. Das Argument der Regierung: Es ist der Fehler der Behörden, dass sie registriert wurden - nicht ihr eigener. Die nicht registrierten Kinder illegal Eingewanderter bekommen jedoch keine Papiere. Sie müssen sich als Einwanderer registrieren lassen und können zwei Jahre nach Erhalt dieses Status' einen Antrag auf Einbürgerung stellen.
Dem Gesetzentwurf waren Beratungen zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti unter internationaler Beobachtung vorausgegangen.