Dominikanische Republik:Begrenztes Mitleid im Paradies

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Aus dem Traum wird ein Albtraum: Weil sich die deutsche Botschaft in der Dominikanischen Republik stur bürokratisch zeigt, sitzen deutsche Staatsbürger auf der Insel fest, leiden Hunger und müssen auf der Straße leben.

Christian Fuchs

Die Nachrichten aus Sosúa klingen wie aus einem Urlaubsparadies. Vor der Küste des Städtchens im Norden der Dominikanischen Republik wurden Seekühe gesichtet, seit Neuestem gibt es brasilianisches Bier und bei der Wahl zur "Miss Teen 2010" treten acht karibische Schönheiten an. Ansonsten schimmert der Atlantik türkisblau wie immer und die Sonne brennt bei 30 Grad auf Palmenhaine und Strände.

Der Strand von Sosúa - für die einen ein kleines Paradies, für die anderen ein Albtraum. Frank-Michael Eberwein sitzt hier seit drei Monaten fest. (Foto: dpa)

Frank-Michael Eberwein würde am liebsten schnell hier weg und zurück nach Deutschland - er sitzt seit drei Monaten fest.

"Ich bin obdachlos, habe Durst und verhungere hier langsam", sagt er verzweifelt am Telefon. Eberwein rettet sich von Tag zu Tag, er bettelt deutsche Touristen an und versteckt sich nachts in Abrisshäusern: "Ich habe große Angst überfallen zu werden". Sein Zuhause ist eine dreckige Matratze, um die Kakerlaken kriechen.

Für den 49-Jährigen wurde ein längerer Urlaubstrip in die Dominikanische Republik zum Albtraum.

Seit fünf Jahren lebt der Magdeburger auf der Karibikinsel, die meiste Zeit nicht ganz freiwillig. Bis Ende März lautete seine Postanschrift: "La Fortaleza, Prisión Puerto Plata" - das Gefängnis von Puerto Plata. Für einen Bekannten sollte er im Jahr 2005 ein Päckchen mit weißem Pulver in einer deutschen Bäckerei abgeben. Er hatte das Packpapierpaket knapp eine Stunde bei sich, da überwältigten ihn vier Polizisten und fanden: 100 Gramm Kokain.

Den Glauben auf Beistand verloren

Wegen Drogenhandel wurde Eberwein zu fünf Jahren Haft verurteilt, ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft raunte ihm nach der Urteilsverkündung zu: "In Deutschland wären sie dafür nicht so hart bestraft worden". Die Botschaft half ihm auch, Auslandssozialhilfe zu beantragen. Monatlich 153 Euro erhielt Micha, wie ihn Bekannte in Magdeburg noch heute nennen. Davon kaufte er sich Kekse und Milch als Zusatznahrung oder Waschpulver, um seine Sachen im Gefängnis zu reinigen.

Damals glaubte Frank-Michael Eberwein noch, die Auslandsvertretung würde ihm beistehen. Den Glauben hat er heute verloren.

Nachdem er vor drei Monaten seine Strafe abgesessen hatte, nahm er seine gesparten 220 Euro und fuhr in die Hauptstadt Santo Domingo. Er bat den zuständigen Botschaftsmitarbeiter Raimund K. um Hilfe für die Rückreise nach Deutschland, erzählt Eberwein. Da sein Reisepass längst abgelaufen war, brauchte er einen Rückkehrausweis und ein kleines Darlehen für den Kauf eines Flugtickets.

"Für Ihre Rückkehr nach Deutschland sind wir nicht zuständig", habe K. ihm erklärt. Er veranlasste offenbar eine Meldung an die Sozialagentur Sachsen-Anhalt, die die Auslandssozialhilfe für den Gefangenen jeden Monat überwies. "Mit der Entlassung aus dem Gefängnis ist nach dem Sozialgesetzbuch die Grundlage für die Sozialhilfe für Herrn Eberwein entfallen", sagt ein Sprecher des Sozialministeriums in Magdeburg zu sueddeutsche.de. "Sollte eine akute Notsituation vorliegen, müsste nun die Botschaft einspringen."

Doch der deutsche Diplomat hat nur wenig Verständnis für Frank-Michael Eberwein, der 15 Jahre lang Werkzeug in einem Magdeburger Baumarkt verkauft hatte und stets pünktlich seine Steuern zahlte. Er solle seine Familie um Geld bitten, habe der Beamte vorgeschlagen, erinnert sich Eberwein. Doch die hatte sich nach der Inhaftierung von Eberwein losgesagt. Dann könne er ja immer noch arbeiten, empfahl der Diplomat angeblich. Eberwein spricht nur wenig Spanisch und hat keine Papiere. Niemand wartet auf einen Ausländer in einem Land mit 30 Prozent Arbeitslosenquote.

Frank-Michael Eberwein sitzt seit Monaten in der Dominikanischen Republik fest und wartet auf Hilfe. (Foto: sueddeutsche.de)

Ähnlich ergeht es derzeit einem anderen Deutschen. Andreas Schwenzer aus Leverkusen wurde Ende März mittellos aus dem Gefängnis entlassen, muss sich aber noch zwei Jahre auf Bewährung auf der Karibikinsel aufhalten. Früher arbeitete er für den Chemiekonzern Bayer und zahlte 23 Jahre Steuern in Deutschland. Zurzeit hat er keinen Job und ist obdachlos.

Laut deutschem Sozialgesetz hätte er weiter Anspruch auf Auslandssozialhilfe, weil er sich in einer Notsituation befindet und das Land nicht verlassen darf. Als er vor einigen Tagen gestolpert ist, brach er sich den Arm. Den Besuch bei einem Arzt und die Röntgenaufnahme für 30 Euro kann er sich nicht leisten; daraufhin bat er die deutsche Botschaft um Hilfe. Der zuständige Mitarbeiter K. speiste ihn nach den Erzählungen Schwenzers ab: "Wenden Sie sich doch an die hiesigen Behörden, das machen Ausländer in Deutschland doch genauso." Schwenzers Auslandssozialhilfe hatte K. schon vor zwölf Wochen gestoppt.

Dabei könnte den beiden Männern einfach geholfen werden. Mit einem Notdarlehen von 600 Euro käme beispielsweise der Magdeburger Eberwein zurück nach Deutschland.

Wie im Gefängnis, nur draußen

Gegenüber sueddeutsche.de äußert sich der zuständige Botschaftsmitarbeiter K. nicht zu den Vorwürfen. Jede Anfrage an die Botschaft wird vom Auswärtigen Amt in Berlin beantwortet, das für die Auslandsvertretungen zuständig ist. Aus dem Amt heißt es, Eberwein habe keinen Antrag auf Hilfe gestellt. Das könne er gern jederzeit tun. "Wir würden dann genau prüfen, ob er notleidend ist und Anspruch auf Nothilfe hat. Zuerst sind aber die Angehörigen unterhaltspflichtig", so der Sprecher des Auswärtigen Amtes, "schließlich vergeben wir das Geld der Steuerzahler."

Doch Raimund K., der Botschaftsmitarbeiter vor Ort, hat offenbar seit April keinen Kontakt mehr zu Eberwein. Erst durch die Recherchen von sueddeutsche.de erfuhr das Auswärtige Amt davon, dass sich Eberwein noch im Land aufhält.

Der gestrandete Deutsche streift durch die Straßen von Sosúa auf der Suche nach Essen oder einem Tagelöhnerjob. An manchem Tag bleibt sein Magen leer. "Das ist doch totaler Quatsch, ich habe die Botschaft ausdrücklich um Hilfe gebeten und hätte alles angenommen", empört sich Eberwein. "Dass ich Hilfe abgelehnt hätte, stimmt nicht. Ich wäre sofort nach Hause geflogen, wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte."

Mittlerweile hat Eberwein nicht einmal mehr acht Euro für ein Busticket in die Hauptstadt Santo Domingo. Als sueddeutsche.de ihn vor einigen Tagen das letzte Mal telefonisch erreicht, hatte er starkes Fieber und Durchfall. Bevor die Leitung getrennt wurde, sagte er fast resigniert: "Ich lebe hier wie im Gefängnis, nur draußen."

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