Auseinandersetzungen in Syrien:Flucht vor der Armee

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Sie befürchten ein Massaker: Immer mehr Syrer verlassen ihr Land aus Angst vor den Truppen von Präsident Baschar al-Assad, die brutal gegen Aufständische vorgehen. Eine Verurteilung Syriens im UN-Sicherheitsrat, wie sie Frankreich und Großbritannien anstreben, scheitert derweil an Russland.

Tomas Avenarius und Rudolph Chimelli, Kairo

Aus Angst vor einem Massaker flüchten immer mehr Syrer aus ihrem Heimatland in die Türkei. Nachdem sich am Montag und Dienstag Medienberichten zufolge bereits 200 Syrer über die Grenze in Sicherheit gebracht hatten, flohen allein in der Nacht zum Mittwoch und in den Vormittagsstunden weitere 160 Menschen.

Immer mehr Syrer flüchten aus Angst vor Übergriffen der Armee in das Nachbarland Türkei. (Foto: dpa)

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte den Flüchtlingen am Mittwoch zu, dass die Grenze für sie offen bleiben werde. Die flüchtenden Syrer befürchten einen Großangriff der Armee auf die Kleinstadt Dschisr al-Schughur, die 20 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt. So berichteten Menschenrechtler unter Berufung auf Augenzeugen von Panzerkonvois und mehreren tausend Elitesoldaten, die in Richtung Dschisr al-Schughur vorrückten.

Frankreich und Großbritannien bemühten sich am Mittwoch um eine Verurteilung Syriens durch den UN-Sicherheitsrat. Paris, London und Berlin wollen, dass der Sicherheitsrat das brutale Vorgehen von Präsident Baschar al-Assad gegen die syrischen Aufständischen verurteilt. Frankreichs Außenminister Alain Juppé sagte, der Sicherheitsrat dürfe angesichts der steigenden Zahl der Opfer nicht schweigen. Londons Außenminister William Hague hatte zuvor erklärt, Assad habe jede Legitimation verloren. Er solle Reformen anbieten oder abtreten.

Hauptgegner einer UN-Resolution ist Russland, das Syrien als wichtigen Partner in Nahost sieht und enge militärische Beziehungen unterhält. Auch China, das sich traditionell nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischt, hat Vorbehalte. Die beiden UN-Vetomächte behaupten, die Resolution könnte zu einem Nato-Militäreinsatz wie in Libyen führen.

Sicherheitskräfte verweigern den Schießbefehl

Die westlichen Bemühungen im UN-Sicherheitsrat können jedoch offenbar nicht die Vorbereitungen des syrischen Regimes für einen Angriff auf die Stadt Dschisr al-Schughur stoppen. Dort waren jüngst 120 Sicherheitskräfte erschossen worden. Damaskus warf "bewaffneten Banden" vor, die Männer getötet zu haben.

Syrische Menschenrechtler und Aktivisten behaupteten, es habe wegen des blutigen Vorgehens der Armee eine Meuterei gegeben. Sicherheitskräfte hätten den Schießbefehl verweigert und seien von Soldaten exekutiert worden. Die Armee hat der Stadt Vergeltung angedroht. Am Mittwoch seien Truppen der 4. Armeedivision von Damaskus und Aleppo aus in die Unruheprovinz Idlib aufgebrochen. Die Division untersteht Maher al-Assad, dem jüngeren Bruder des Staatschefs, der für seine Brutalität gefürchtet wird. Die Aufständischen in Dschisr al-Schughur hätten begonnen, Barrikaden zu bauen, hieß es bei den Aktivisten.

Am Mittwoch stellte sich die vermeintliche Demission der syrischen Botschafterin in Frankreich als Falschmeldung heraus. So hatte eine Unbekannte am Dienstag beim öffentlichen französischen Fernsehsender France 24 angerufen und sich als Botschafterin Syriens ausgeben. "Obgleich ich nach wie vor den Mut unserer Streitkräfte bewundere, kann ich die Spirale der Gewalt nicht länger unterstützen", hatte die Stimme in korrektem, aber etwas stockendem Französisch gesagt. "Ich erkenne die Rechtmäßigkeit der Forderungen des Volkes nach Demokratie und Freiheit an." Es erschien nur konsequent, dass die Anruferin danach als angeblich erste Auslandsvertreterin ihres Landes den Rücktritt erklärte.

France 24, die Stimme Frankreichs in der Welt, verbreitete die vermeintliche Sensation auf Französisch, Englisch und Arabisch. Doch Stunden danach dementierte die echte syrische Botschafterin in Paris, Lamia Shakkour, energisch ihren Rücktritt. Vor einem großen Porträt ihres Präsidenten Baschar al-Assad sagte sie dem privaten Fernsehsender BFM TV: "Ich bin sehr wütend. Ich habe zu keiner Fernsehanstalt der Welt gesprochen. Jemand hat sich für mich ausgegeben." Die Botschafterin kündigte eine Klage gegen France 24 wegen Fälschung und Desinformation an. So musste die stellvertretende Leiterin des Senders eingestehen: "Wir sind wahrscheinlich Opfer einer Manipulation geworden."

© SZ vom 09.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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