Die Bundesrepublik und der Nahostkonflikt:Gefragter Vermittler

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Wenn es um Israel geht, ist die Bundesrepublik nicht neutral. Die aus dem Holocaust resultierende Verantwortung verpflichtet zu Solidarität. Das wissen auch die Araber - doch gerade deshalb ist Deutschland ein gefragter Vermittler im Nahen Osten. Es darf sich nur nicht überschätzen.

Daniel Brössler, Berlin

Die deutsche neben der israelischen Fahne am Berliner Flughafen Tegel bei einem Besuch des israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres (Foto: Reuters)

Wieder sieht es danach aus, als habe Deutschland der Welt ein bisschen Frieden gebracht. Nach der Verkündung der Waffenruhe im Gaza-Konflikt rief der israelische Außenminister Avigdor Lieberman bei seinem Kollegen Guido Westerwelle an und dankte auch für den deutschen Einsatz zur Entschärfung der Situation - so schilderte es das Auswärtige Amt.

Schon nach dem ersten, zunächst gescheiterten Anlauf für eine Waffenruhe hatte Westerwelle von Kairo aus wenig bescheiden verkündet, wenn Deutschland (also: er selbst) einen Beitrag geleistet habe, dann solle es ihn freuen. Das lässt nur zwei konkurrierende Schlüsse zu: dass Deutschland im Nahen Osten wichtig ist - oder sich wichtig macht.

Historisch gesehen ist diese Frage vergleichsweise frisch. Weder moralisch noch machtpolitisch war die alte Bundesrepublik in der Position, ausgerechnet Israelis und Palästinensern Ratschläge zu erteilen. Die deutsche Rolle im Nahen Osten beschränkte sich weitgehend aufs Geschäftliche und auf die Unterstützung des jüdischen Staates etwa durch Waffenlieferungen. Die Wende kam im Juni 2001, als während eines Besuchs des Außenministers Joschka Fischer ein Anschlag auf eine Diskothek in Tel Aviv verübt wurde. Fischer fiel es zu, Botschaften zwischen Israels Premier Ariel Scharon und Palästinenser-Präsident Jassir Arafat auszutauschen.

Die Verantwortung existiert

Auf Fischer, der damals noch als "Vermittler wider Willen" firmierte, wirkten fortan jene Kräfte, denen sich auch seine Nachfolger nicht entziehen können oder wollen. Es sind dies die Verantwortung, im Rahmen des Möglichen Hilfe zu leisten, und die Versuchung, die eigene Rolle zu überhöhen.

Zur Verantwortung ist zu sagen: Sie existiert. Deutschland ist das größte und wirtschaftlich stärkste Land der EU. Es unterhält politisch und ökonomisch enge Beziehungen zu wesentlichen Parteien im Nahen Osten. Fast alle Seiten sind auf gutes Einvernehmen mit Berlin erpicht. Schon dadurch kommt der Haltung Deutschlands eine natürliche Bedeutung zu. So geboten es also gerade deutscherseits erscheinen mag, sich vor Großmannssucht zu hüten, so wenig probat wäre Provinzialismus als Gegenmittel. Wenn Westerwelle in der Krise nach Israel und Ägypten reist, ist das nicht Wichtigtuerei, sondern sein Job.

Dort freilich wartet stets die Versuchung. Das Ringen um Krieg und Frieden im Nahen Osten entfaltet sich auf der ganz großen, auf der Weltbühne. Wer hier, und sei es in einer Nebenrolle, einen Part spielt, tut es immer auch fürs heimische Publikum. Als Westerwelle am Dienstag von Israel aus nach Kairo flog, tat er es, weil das den Ägyptern tatsächlich sehr wichtig war.

Zweieinhalb Stunden wartete Westerwelle geduldig in einer tristen Flughafenlounge auf die Rückkehr des ägyptischen Außenministers aus Gaza. Als es dann aber an der Zeit war für die Fernsehschalte in die Heimat, war es der Ägypter, der warten musste. Die Grenzen zwischen Diplomatie und Show verlaufen eben fließend.

Deutschland kann nicht unparteiisch sein

Dass der Außenminister sich vor dem heimischen Publikum spreizt, muss nicht bedeuten, dass er in der Region nichts bewirkt. Es stimmt, dass die Einigung erst zustande kam, nachdem sich die Amerikaner der Sache angenommen hatten. Das beweist, wie unverändert wichtig für Israelis und Ägypter das Wohlwollen der USA ist. Es beweist nicht, dass andere gar keine Rolle gespielt hätten. Westerwelle war sowohl in Israel als auch in Ägypten willkommen mit seinem Versprechen deutscher Unterstützung.

Das ist jedenfalls mehr, als jene behaupten, die Kanzlerin und Außenminister nun Vorwürfe machen. Sie führen an, durch angeblich einseitige Parteinahme hätten beide eine Vermittlerrolle verspielt. Diese Behauptung fußt auf der seltsamen Annahme, es gebe in internationalen Beziehungen so etwas wie Äquidistanz. Deutschland ist, wenn es um Israel geht, nicht neutral - wäre es das, wäre dies der moralische Bankrott.

Die aus dem Holocaust resultierende Verantwortung verpflichtet gewiss nicht dazu, jeder israelischen Regierung nach dem Mund zu reden. Sie verpflichtet aber, und das erwarten die Israelis, zu Solidarität. Unlauter ist daher die Behauptung, Deutschland könne eine unparteiische Vermittlerrolle ausüben. In Wahrheit hätte Deutschland dann gar keine Rolle mehr.

Das wissen auch Palästinenser und Ägypter. Sie schätzen Deutschland als zuverlässigen Geldgeber und als einflussreiche europäische Macht, aber eben auch wegen seines Drahtes zur Führung in Jerusalem. Seinem Standort im Nahostkonflikt kann Deutschland nicht entfliehen. Es muss nur immer wieder entscheiden, ob es ihn nutzt.

© SZ vom 23.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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