Bundeskanzler:Greise im Kanzleramt

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Fotos aller bisherigen bundesdeutschen Kanzler in der Berliner Gaststätte KanzlerEck (Foto: Jens Büttner/dpa)

Martin Rupps stellt eine steile These zu Deutschlands Regierungschefs auf: Von Adenauer bis Merkel, alle hätten ihr Amt verspätet angetreten - und seien nicht rechtzeitig wieder abgetreten. Ist da was dran?

Rezension von Cord Aschenbrenner

Bundeskanzler ziehen immer bei den Lesern. Das wird sich auch der Journalist und Historiker Martin Rupps gesagt haben, der bereits ein Buch über Helmut Schmidt geschrieben hat, es also wissen muss.

Am besten nimmt man gleich alle, gerade weil sie, so Rupps, außer der Kanzlerschaft etwas Auffälliges miteinander gemein haben: Vom ersten bis zur bislang letzten, von 1949 bis 2005 und weiter bis heute, ob sehr alt wie Adenauer oder im besten Alter wie Merkel - alle sieben Kanzler und die einzige Kanzlerin hätten ihr Amt verspätet angetreten und seien auch nicht rechtzeitig wieder gegangen.

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Deutschland, früher die "verspätete Nation", wie der Soziologe Helmuth Plessner mit Blick auf die aufklärerischen und demokratischen Defizite der Deutschen einst schrieb - nun also auch das Land, dessen vom Alter gebeugtes politisches Führungspersonal besser gar nicht erst anfinge.

Die Bundeskanzler und mit ihnen ihre politische Generation kämen zu spät an die Macht und blieben dort zu lange: Das ist erst einmal eine steile These. Aber dafür ein ganzes Buch?

Rupps sagt, dass erstens bei Bundestagswahlen "über gar nichts entschieden" werde, sie seien "Zirkusvorstellungen" von Politikern und Journalisten. Und zweitens habe jeder Wahlsieger seine politische Zukunft hinter sich, eben weil er oder sie das Amt in einem Lebensalter antrete, das nicht mehr die nachrückenden, die Zukunft prägenden Generationen repräsentiere. Eine Neuorientierung finde nicht statt (mit Ausnahme der Wahl von Rot-Grün 1998).

Außerdem setze schon bald die "Kanzlerdämmerung" ein, allerspätestens mit einer Wiederwahl.

Heute "Trutzburg Berlin", früher "Raumschiff Bonn"

Die ist, wenn man Rupps folgen will, nun wirklich das Ende jedes Kanzlers, weil dieser anschließend sofort in Agonie verfällt und nur noch das Erreichte in der "Trutzburg Berlin", früher war es das "Raumschiff Bonn", bewahren will.

Rupps findet dafür sprechende Beispiele aus jeder Kanzlerschaft bis hin zur derzeitigen, und oft kann man ihm schlecht widersprechen. Dass es nach den ersten acht Jahren nicht zu Ende ging mit dem bräsigen Regiment Helmut Kohls, lag nur am Ende der DDR und an der von Kohl mit unverhofftem Elan betriebenen Vereinigung.

Martin Rupps ist ein stellenweise durchaus anregendes Buch gelungen, eine gedrängte Geschichte der Kanzlerdemokratie und ihrer Versäumnisse und Mängel, auch wenn man bereits vor der etwa achtzehnten Wiederholung weiß, dass der Autor findet, die deutschen Kanzler seien immer zu alt und selten auf der Höhe der Zeit gewesen.

Die Kanzler und ihr jeweiliger Dämmerzustand interessieren Rupps dabei gar nicht so; viel interessanter ist für ihn der Generationenkonflikt in der Berliner Politik, der bisher immer - siehe oben - einen zu alten Sieger gefunden habe.

Rupps formuliert mit Verve, manche seiner Einsichten in die Abläufe von Politik sind bedenkenswert. Ein etwas längerer Essay über die verspäteten Kanzler hätte aber auch gereicht.

Martin Rupps: Kanzlerdämmerung. Wer zu spät kommt, darf regieren. Orell Füssli Verlag, Zürich 2017, 256 Seiten, 19,95 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

© SZ vom 21.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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