Deutsche in der Schweiz:Nieder mit den Gummihälsen

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Filz-Kampagne und Angst um die eigene Identität: In den Schweizer Medien wird intensiv über die Deutschen diskutiert. Es geht um die "speziellsten Ausländer" des Landes und 500 Jahre "Schwiizerdütsch".

Désirée Waibel

Nachdem die Schweizerische Volkspartei (SVP) jede Menge deutschen Filz an den Zürcher Universitäten erkannte und daraus eine Kampagne machte, ist man in der Schweiz der Meinung, es müsse nun endlich in aller Öffentlichkeit über die Deutschen diskutiert werden.

Deutschland und die Schweiz: Völlig unabhängig von den jüngsten Verwerfungen zwischen den beiden Staaten, die wegen einer Daten-CD entstanden sind, diskutiert die Schweiz schon länger über deutschen Filz an Schweizer Universitäten und die Integrationsunfähigkeit der Deutschen im Land. (Foto: Foto: ddp, Reuters, dpa)

Dies lässt sich auch das Schweizer Fernsehen nicht entgehen. Das SF1 lud nun "Direktbetroffene" zum "Club" und zum Thema "Deutsche in der Schweiz: qualifiziert, integriert, unerwünscht?" Es sollte den Klischees und den echten Problemen, die sich aus der Anwesenheit von 250 000 deutschen Staatsangehörigen ergeben, auf den Grund gegangen werden.

Der Plakatismus der SVP hatte zuvor direkten Widerstand erfahren; per Inserat hatten sich 207 Professoren der Zürcher Universitäten gegen die "rassistische und fremdenfeindliche Rhetorik" der SVP gewehrt - was die mediale Aufmerksamkeit nur gesteigert hatte. Seither sind die Besetzungen von Professuren eine öffentliche Angelegenheit, und die Institutionen kommen unter Legtitimationsdruck.

Der Filz-Vorwurf ist eine verdiente Ohrfeige

Urs Würgler, Rektor der Universität Bern, ist jüngstes Opfer dieser Stimmung: Er besetzte den Lehrstuhl für politische Kommunikation mit einer jungen Deutschen und wird harsch kritisiert. Obwohl sich unter den 32 Bewerbern um die Nachfolge von Roger Blum nebst 24 Deutschen nur zwei Schweizer beworben hatten, ist SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli überzeugt, dass sich für jeden hohen Posten ein gleichwertig qualifizierter Schweizer finden ließe.

Hat die SVP erreicht, dass universitäre Berufungen sich nun nach Nationalitätskriterien richten müssen? Nicht überall. Umstritten sind die Posten, die direkt mit der Schweizer Kultur in Berührung kommen, also die Medien und die Politik. Für Rudolf Strahm, den Präsidenten des Schweizer Weiterbildungsverbandes, ist, so bekennt er im "Club", der Filz-Vorwurf zwar eine Ohrfeige, aber eine verdiente. Nur sucht er die Verantwortung nicht allein bei den Deutschen: Die Schweizer Universitäten habe die akademische Immigration durch "jahrzehntelange Vernachlässigung der Nachwuchsförderung selbst verursacht".

Das umstrittene Stereotyp

Markus Somm, stellvertretender Chefredaktor der Weltwoche, sitzt auch im "Club" und hält die Deutschen in der Schweiz für die "speziellsten Ausländer, die es gibt": Seit dem Schwabenkrieg im Jahr 1499 heiße Schweizer zu sein ganz einfach, kein Deutscher zu sein.

Die Schweizer fühlten sich unwohl, wenn sie von zu viel Hochdeutsch umgeben seien. Aber genau dieses vom Deutschen unterscheidende Unbehagen interpretiert Somm als bewussten Entschluss. "Schliesslich hätten wir 500 Jahre Zeit gehabt, um Hochdeutsch zu lernen."

Die Journalistin Willmeroth, einzige Frau und Deutsche in der Runde, sieht die Deutsch-Schweizerischen Konflikte als auflösbares Missverständnis; so bediente sich der Deutsche gerne des Imperativs, während sich die Schweizer lieber an den herzig klingenden Konjunktiv hielten. Die alten Stereotype der arroganten Opportunisten, die kein "Schwiizerdütsch" lernen und nicht an den souveränen Bürger glauben können, stoßen bei Willmeroth auf Widerspruch.

Im Gegensatz zur vorletzten Migrantendebatte will der Vorwurf der Integrationsunfähigkeit im Fall der Deutschen nicht haften bleiben. Dafür sind Deutsche dann doch nicht ausländisch genug. Der Medienunternehmer Roger Schawinski fragt daher: Was erhoffe man sich von Filzkampagne und Sozialneid, außer mehr Stimmen im bevorstehenden Wahlkampf?

Die eigene Nationalstaat-Vorstellung ist fraglich

Hier wird die Diskussion schwammig. Mörgeli sorgt sich um die Schweiz, um das massiv überbaute Sozialsystem, die falsche Entscheidung zur Personenfreizügigkeit - und von nun an geht es nicht mehr um die Deutschen. Dafür ist "Unbehagen" auch ein Wort, das niemanden zum Zittern bringt.

Unbehaglich wird es den Schweizern vor allem, wenn sie erkennen, dass ihre Vorstellungen vom eigenen Nationalstaat nicht mehr auf dem Stand der Globalisierung sind. Zum Abschluss der Sendung sagt denn auch Würgler, er werde trotz öffentlicher Empörung weiter den Kandidaten einstellen, der dem Niveau der Universität am besten entspreche.

Durchlässige Grenzen trotz Propaganda

Und Schawinski merkt an, dass offenbar sogar die Familie Blocher - die Familie des früheren SVP-Präsidenten - bereit sei, für das Wohl der Firma ein Auge zuzudrücken: Die Spitzenposten im Forschungslabor der EMS-Chemie AG, dem Unternehmen der Blochers, sind mit zwei Drittel Deutschen besetzt - ganz offenbar sind die ökonomischen und sozialen Grenzen durchlässiger, als die politische Propaganda es wahrhaben will.

Das gilt übrigens auch für die Dinge und Menschen, die aus der Schweiz ins Ausland gehen. Wer über deutsche Professoren in der Schweiz lamentiert, müsste auch anerkennen, dass die Schweizer Universitäten mehr Professoren nach Deutschland exportieren, als sie von dort importieren. Vermutlich müssen die Schweizer jetzt solche Debatten führen, und ihre Bedeutung wird eher zunehmen. Aber falls darin das Schweizer-Sein nur bedeutet, etwas anderes nicht zu sein, ist die Auseinandersetzung um die Identität nicht nur verloren, sondern hat schon falsch begonnen.

© SZ vom 02.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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