Der Fall Politkowskaja:Muskelspiele an der Moskwa

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Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja scheint aufgeklärt zu sein. Dennoch bezweifeln viele Russen, dass die von den Staatsanwälten präsentierten tschetschenischen Drahtzieher hinter dem Verbrechen stecken.

Daniel Brössler

Unter den Glückwünschen, die Russlands Generalstaatsanwalt Jurij Tschaika nach der angeblichen Aufklärung des Falles Politkowskaja erreicht haben, ist aus Straßburg.

Lässt oft die Muskeln spielen: Russlands Präsident Wladimir Putin. (Foto: Foto: AP)

Der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, René van der Linden, dankte "den russischen Behörden für die bisher geleistete Arbeit". Das dürfte Tschaikas Herz erwärmen, bekommt er vom Europarat doch sonst eher Kritik an schleppenden Verfahren oder der politisierten Justiz zu hören.

Bei weiterer Lektüre entpuppt sich van der Lindens Lob freilich als zumindest doppelbödig: Er ermuntere die russischen Behörden, "keinen Aufwand zu scheuen, die Wahrheit ans Licht zu bringen". Da klingt durch, dass in Wahrheit noch viele Fragen offen sind in dem Fall, den Tschaika so selbstbewusst für gelöst erklärt hat.

Tatsächlich ist die Faktenlage im Fall der im vergangenen Oktober vor ihrem Wohnhaus erschossenen Journalistin Anna Politkowskaja ausgesprochen dünn. Tschaika hat lediglich die Festnahme von zehn Personen bekanntgegeben, unter ihnen sowohl Tschetschenen als auch Mitarbeiter der Sicherheitsorgane.

"Der Generalstaatsanwalt ist eine politische Figur"

Tschaikas Ausführungen zu Motiv und Auftraggebern aber klangen nach einer Lehrstunde in Verschwörungstheorie. Es könne gar nicht anders sein, sagte er, als dass die Drahtzieher im Ausland säßen und den Mord in Auftrag gegeben hätten, um Russland zu schaden.

Ohne ihn namentlich zu nennen, wies Tschaika mit dem Finger auf den im Londoner Exil lebenden früheren Oligarchen Boris Beresowskij. Zudem stellte er eine Verbindung zu zwei anderen Fällen her - zur Ermordung des Chefredakteurs der russischen Ausgabe des US-Magazins Forbes, Paul Klebnikov, im Jahr 2004 und zur Ermordung des Vize-Zentralbankchefs Andrej Koslow vergangenes Jahr.

Belege dafür führte er nicht an; entstehen aber sollte offenbar der Eindruck, Feinde Russlands stünden hinter den spektakulärsten Morden der jüngsten Zeit. 83,5 Prozent der Hörer des Senders "Echo Moskwy" bezweifelten in einer Blitzumfrage freilich die These, die Hintermänner des Politkowskaja-Mordes seien außerhalb Russlands zu suchen.

"Aus dem Gang der Ermittlungen lässt sich in keiner Weise der Schluss ziehen, dass die Spuren ins Ausland führen", kontert Andrej Lipskij. Er ist stellvertretender Chefredakteur der Nowaja Gaseta, für die Politkowskaja gearbeitet hatte.

In der Redaktion, die die Ermittlungen aufmerksam verfolgt, herrscht Empörung über Tschaika. Dessen Vorgehen sei unprofessionell und einer "politischen Bestellung" geschuldet, beklagt Lipskij. "Quatsch" nennt er die Behauptung, Politkowskajas Mörder seien gefasst. "Der Generalstaatsanwalt hat doch mit den Ermittlungen gar nichts zu tun. Er ist eine politische Figur", fügt er hinzu.

Tschaika folge einfach der Vorgabe von Präsident Wladimir Putin, "der schon drei Tage nach dem Mord an Politkowskaja gesagt hat, dass dahinter ausländische Feinde Russlands stehen". In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hatte Putin damals erklärt: "Die Ermordung Politkowskajas schadet der russischen und insbesondere auch der tschetschenischen Führung erheblich mehr, als es ein Zeitungsartikel vermag.2

Daran glauben die Redakteure der Nowaja Gaseta nicht. Sie sind überzeugt, dass sich die Auftraggeber des Mordes in Russland befinden - und dass sie dingfest gemacht werden könnten.

Zu diesem Zweck kooperiere seine Zeitung mit den Ermittlern der Staatsanwaltschaft, die unterhalb der Führungsebene durchaus "professionell" an dem Fall arbeiteten, sagt Lipskij. Die jüngsten Festnahmen wertet er als Erfolg, fürchtet aber, dass Tschaikas Bekanntmachungen die weiteren Ermittlungen behindern werden. Der verfrühte Gang an die Öffentlichkeit werde nun die Beweisführung erschweren.

Das scheint mittlerweile auch der Staatsanwaltschaft zu dämmern. Sie ist verärgert darüber, dass russische Medien am Dienstag die Namen der Verhafteten veröffentlicht haben.

14 Millionen unaufgeklärte Verbrechen in Russland

Ausgeführt wurde der angeblich mit einer hohen Summe finanzierte Auftragsmord demnach von den drei tschetschenischen Brüdern Tamerlan, Dschabrail und Ibrahim Machmudow. Man werde diese Information nicht kommentieren, war dazu von der Staatsanwaltschaft zu hören.

Sollte sich der gefeierte Fahndungserfolg doch noch als Flop erweisen, würde sich das in ein ohnehin schon düsteres Bild der russischen Justiz fügen. Die Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta schockierte ihre Leser kürzlich mit einer Statistik.

Demnach sind in den vergangenen sechseinhalb Jahren 14 Millionen Verbrechen in Russland unaufgeklärt geblieben, darunter auch 90.000 Morde. Eine Sonderkommission soll sich nun um diese Karteileichen kümmern.

Für die hohe Zahl unaufgeklärter Verbrechen hat der Chefredakteur der Zeitung Sawtra, Alexandr Prochanow, übrigens eine einfache Erklärung: "Die Verbrechen werden eben oft von denen begangen, die sie aufklären sollen."

© SZ vom29.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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