Demonstrationen:Flammen der Wut

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Wieder einmal empören sich viele Iraner über die Korrup­tion im Land und die Wirtschafts­krise, überhaupt die Unfähig­keit ihrer Regierung. Doch die hat inzwischen einiges gelernt.

Von Paul-Anton Krüger

Die Revolutionsgarden in Iran haben am Montag den Demonstranten eine letzte Warnung erteilt: "Wenn nötig, werden wir entschieden und revolutionär handeln gegen jegliche fortgesetzten Versuche, den Frieden und die Sicherheit des Volkes zu stören", hieß es in einer vom Staatsfernsehen verbreiteten Erklärung. Am Wochenende waren bereits mehr als 1000 Demonstranten festgenommen worden, wie die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars berichtet. Das Regime sieht sich von den Protesten herausgefordert, wieder einmal. Und doch gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Demonstranten die Islamische Republik ernsthaft ins Wanken bringen könnten - der Traum vieler Iraner, auch jener, die im Exil leben müssen, ebenso mancher Politiker in Washington.

Immer wieder wird Iran von landesweiten Protestwellen erschüttert, und jedes Mal steht die Frage im Raum, ob sich die meist spontanen Demonstrationen zu einer nationalen Aufstandsbewegung verdichten, wie es zuletzt im benachbarten Irak oder in Libanon geschehen ist. Dort wenden sich die Protestierenden inzwischen gegen das politische System, eine als korrupt empfundene politische Elite - und die Präsenz Irans in ihren Ländern.

Die Demonstranten verbrennen sogar Bilder von Ayatollah Chamenei

Auch in Iran skandieren die Demonstranten Parolen gegen die Islamische Republik, sie verbrennen gar Bilder des Obersten Führers Ayatollah Ali Chamenei. Sie verlangen, dass das knapper werdende Geld nicht in Syrien, Irak oder Jemen ausgegeben wird oder für die Unterstützung palästinensischer Gruppen. Tatsächlich wächst der Frust über die Wirtschaftskrise, die fast alle Iraner zu spüren bekommen, die Wut über Korruption und Misswirtschaft. All das brach sich zum Jahreswechsel 2017/18 auch schon Bahn, als Iran die größten Demonstrationen seit der Grünen Revolution 2009 erlebte. Damals waren Millionen Iraner auf die Straßen gegangen, um dagegen zu protestieren, dass der Hardliner Mahmud Ahmadinedschad zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt wurde, nicht Mir Hossein Mussawi, ein Reformer.

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(Foto: AFP)

Szenen des Aufruhrs: Protestierende versammeln sich am Wochenende in der Hauptstadt Teheran, ...

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(Foto: AFP)

...in Isfahan im Zentrum des Landes blockierten Autofahrer eine Hauptverkehrsader, ...

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(Foto: AFP)

... in Isfahan hatten Protestierende auch Feuer in einer Bank gelegt.

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(Foto: AFP)

Aus Protest gegen die Erhöhung des Benzinpreises wurden oft Reifen in Brand gesteckt - hier in Isfahan.

Zugleich wissen die Menschen seit diesen Massenprotesten, dass die Warnung der Revolutionsgarden ernst zu nehmen ist. Der Sicherheitsapparat ging damals äußerst brutal vor. Dutzende wurden getötet, mehrere Tausend verhaftet. Das Regime hat danach organisatorische Konsequenzen gezogen: Die paramilitärischen Bassidsch-Milizen wurden den Revolutionsgarden unterstellt und damit in eine im Wortsinn schlagkräftige Truppe verwandelt, die in jeder Provinz präsent ist. Auch haben die Geheimdienste bei der Überwachung sozialer Medien drastisch aufgerüstet und die Infrastruktur des Internets unter Kontrolle gebracht. Sie drosselten am Wochenende die Verbindungen so stark, dass kaum Videos von den Protesten kursierten. Die Macht der Bilder, die ein maßgeblicher Faktor war bei etlichen Umstürzen im Nahen Osten, kann so ihre Wirkung weder international noch in Iran entfalten.

Ziel all dieser Bestrebungen ist es, eine Erhebung der Massen wie 2009 zu verhindern. Lokale Proteste, zumal wenn sie nicht Forderungen Ausdruck verleihen, die das Regime infrage stellen, werden oft geduldet. In Teheran demonstrieren kleinere Gruppen für ihre Anliegen vor dem Parlament, auch in den Provinzen kommt es regelmäßig zu Protestzügen, etwa wegen nicht gezahlter Löhne.

Der Sicherheitsapparat ist ein entscheidender Faktor; im Jahr 2011 konnten die Demonstranten in Tunesien und Ägypten auch deshalb ihre Präsidenten stürzen, weil sich das Militär nicht auf deren Seite schlug. Syrien ist das Gegenbeispiel - und das Szenario, das wohl die meisten Iraner bei aller Unzufriedenheit fürchten. Bis hin zu den Reformern sprechen sich viele Iraner für einen graduellen Wandel aus, aber gegen revolutionäre Umstürze.

Die Wahrnehmung der Revolutionsgarden ist zwiespältig: Sie werden zwar als Instrument der Unterdrückung gesehen, als zunehmend autark agierendes Machtzentrum innerhalb des Systems. Zugleich gelten sie aber auch als Garanten der äußeren Sicherheit Irans, ein Bild, das die Regierung gezielt mit Propaganda gefördert, die General Qassim Soleimani zu einem Volkshelden stilisiert hat, den Kommandeur der Quds-Brigaden, der Irans militärische Aktivitäten in Syrien, Irak und Jemen kontrolliert, ebenso wie die Hisbollah in Libanon.

Anders als 2009 gibt es keine charismatischen Figuren, die den Protest anführen könnten

Zwar verbindet die Demonstranten in Iran ihre Unzufriedenheit, anders als bei der Grünen Revolution 2009 gibt es aber keine charismatischen Führungsfiguren. Organisatorische Strukturen, etwa starke Gewerkschaften, welche die Proteste tragen könnten, existieren nicht. Auch diese Lehre hat das Regime gezogen: Mussawi und sein Mitstreiter Mehdi Karroubi stehen bis heute ohne Gerichtsurteil unter Hausarrest, selbst der frühere Präsident Mohammed Chatami darf nicht öffentlich auftreten, sein Bild nicht gezeigt werden.

Und dann gibt es da noch Reza Pahlavi, den in den USA lebenden Sohn des 1979 gestürzten Schahs. Manchen Iranern, nicht nur Monarchisten, gilt er als Figur, die den Übergang in ein anderes politisches System anführen könnte - in Iran jedoch würde er wohl auf heftigen Widerstand treffen. Das gilt mehr noch für den Nationalen Widerstandsrat unter Marijam Rajavi, den die Hardliner in Washington hofieren.

So gehen viele Iraner in die innere Immigration. Sie haben die Hoffnung verloren, dass sich ihr Land grundlegend wandelt, nachdem auch Präsident Hassan Rohani viele seiner Versprechen nicht umgesetzt hat, wegen des Ausstiegs der USA aus dem Atomabkommen nicht umsetzen konnte. Sie wollen ihren Protest zeigen, indem sie nicht mehr zur Wahl gehen - führt das Regime doch eine hohe Beteiligung als Beleg an, dass die Islamische Republik breite Unterstützung genießt. Ändern wird allerdings auch das kaum etwas.

© SZ vom 19.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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