Demjanjuk-Prozess:Obskures Mal am Oberarm

Lesezeit: 1 min

Zwei unscheinbare Narben könnten dem mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk zum Verhängnis werden.

Alexander Krug

Zwei unscheinbare Narben könnten dem mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk zum Verhängnis werden. Im Prozess gegen den 90 Jahre alten gebürtigen Ukrainer standen die Wundmale am Dienstag im Schwurgericht München II im Mittelpunkt der Verhandlung.

Der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk vor dem Münchner Landgericht. (Foto: Foto: ddp)

Demjanjuk ist angeklagt wegen Beihilfe zum Mord. Er soll 1943 als Wachmann im NS-Vernichtungslager Sobibor an der Ermordung von 27.900 vornehmlich aus den Niederlanden deportierten Juden beteiligt gewesen sein. Ein zentrales Beweisstück der Ankläger ist ein Dienstausweis von 1942 mit dem Foto Demjanjuks. Auf dem Dokument ist unter anderem als "besonderes Merkmal" eine "Narbe am Rücken" vermerkt.

Der Rechtsmediziner Wolfgang Eisenmenger, bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2009 Leiter des Instituts für Rechtsmedizin in München, hatte den Angeklagten im Mai vorigen Jahres körperlich untersucht. Dabei hatte er am Rücken eine "rundliche Narbe" entdeckt. Demjanjuk selbst hatte früher einmal ausgesagt, er sei im Krieg durch ein Schrapnell verletzt worden. Eisenmenger fand noch eine zweite Narbe an der Unterseite des linken Oberarms.

"Es könnte die Entfernung einer Tätowierung sein", sagte der als Gutachter geladene Medizinprofessor. Üblicherweise hatten SS-Männer an dieser Stelle ihre Blutgruppe tätowiert. Angeblich sollen auch "nichtdeutsche" Wachmänner wie Demjanjuk eine solche Gravur bekommen haben.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte Eisenmenger auch noch beauftragt, ein Gutachten über die Wirkung von Autoabgasen zu erstellen. In Sobibor wurden die Juden nach Zeugenaussagen mit Hilfe eines 200 PS Panzermotors sowjetischer Bauart ermordet. Dessen Abgase wurden in vier mal vier Meter großen Todeskammern geleitet, in denen bis zu 80 Menschen eingepfercht wurden. Von diesen Kammern gab es in Sobibor sechs.

Eisenmenger zufolge sorgte das Kohlenmonoxid der Abgase zu einer völligen Blockierung des Sauerstofftransports im menschlichen Körper. Die Menschen in den Gaskammern seien langsam erstickt, wobei die seelischen Qualen die körperlichen überlagert hätten. Da der "Vorgang" der Vergasung im Durchschnitt 20 bis 30 Minuten gedauert habe, müssen die seelischen Qualen der Opfer "unmenschlich" gewesen sein.

Für die Juristen ist diese Differenzierung notwendig. Für eine Anklage wegen Mordes müssen bestimmte Mordmerkmale erfüllt sein. Im Fall Demjanjuk sieht die Staatsanwaltschaft das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt. Grausam handelt nach der einschlägigen Kommentierung, wer das Opfer körperlichen oder seelischen Qualen aussetzt, die nach Intensität und Dauer über das "normale Maß" einer Tötung hinausgehen.

Der Prozess gegen Demjanjuk soll an diesem Mittwoch mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt werden.

© SZ vom 21.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: