Degler denkt:Profiteure der Naivität

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Opel-Verkauf, Manager-Boni, Afghanistan-Einsatz: Das politische Geschäft gedeiht auf der Realitätsferne von Akteuren und Publikum.

Dieter Degler

Gerhard Schröder, der immer noch über die Instinkte eines politischen Leitwolfes verfügt, hat das publikumswirksame Wahlkampfthema hinter dem Tankwagen-Angriff bei Kundus als erster erkannt und aus der Hüfte geschossen: Bis 2015 sollen die deutschen Truppen raus aus Afghanistan.

Das ist natürlich strategischer Unsinn, weil man dem Gegner in einem Krieg nicht sagen sollte, wann man aufhört zu kämpfen. Und es ist taktischer Unsinn, weil jedes Timing dieser Art eine gründliche Planung und Abstimmung verlangt.

Aber mit seinem Schnellschuss hat Schröder einen Mechanismus der Macht bedient, der in den vergangenen Wochen so augenfällig wurde wie kaum je zuvor: Surfen auf jener öffentlichen Erregung, die der politischen Naivität folgt. Drei Fälle großer, auf Weltfremdheit basierender Debatten und ihrer interessengesteuerten Ausschlachtung machen das exemplarisch deutlich.

Beispiel Opel: Monatelang äußerten sich Politiker und Gewerkschafter fast jeder Couleur zu der Frage, was mit dem Autobauer zu geschehen habe, wie er saniert werden könne und an wen er verkauft werden müsse. Dann, als es so aussah, als wolle der Mutterkonzern GM sein deutsches Tochterunternehmen behalten, jaulten alle Wunschdenker im Chor auf. Dabei war es von vornherein einfältig davon auszugehen, das Management der US-Firma werde sein Unternehmen nach den Wünschen deutscher Arbeitnehmervertreter oder Mandatsträger ausrichten. Denn ein Unternehmen, das sich im Kern an anderen Interessen ausrichtet als den eigenen, wird nicht lange existieren.

Seit Donnerstag, als der Verkauf an Magna verkündet wurde, herrscht nun wieder eitel Sonnenschein bei den Wundergläubigen. Doch die Verkündigung ist nicht viele Pfifferlinge wert: GM stellt noch unbekannte Bedingungen für den Verkauf, im ebenfalls unveröffentlichten Kleingedruckten werden Teufel stecken, der Verkauf wird nach GM-Prognosen noch Monate dauern, falls er am Ende überhaupt zustande kommen sollte. Von einer langfristigen Bestandsgarantie für die deutschen Opelwerke redet niemand mehr.

Die Wahrheit wagt mitten im parteiübergreifenden Jubel nur noch Manfred Wennemer, der Vertreter der Bundesregierung bei der Opel-Treuhand, auszusprechen: Es gebe keine Lösung, Opel wieder wettbewerbsfähig zu machen und das Überleben der Firma zu sichern, das ganze Risiko liege beim Steuerzahler. Dass die Entscheidung nach einem Jahr Ungewissheit ausgerechnet wenige Tage vor der Bundestagswahl publik wurde, nährt zudem den Argwohn, das Ganze könne vor allem eine kostspielige PR-Aktion zur Fortsetzung der Großen Koalition sein.

Beispiel Managergehälter: Seit Beginn der Finanzkrise verlangt die deutsche Öffentlichkeit, die Gehälter von Topmanagern zu begrenzen - und ist bei jedem ans Licht kommenden Einzelfall darüber entsetzt, dass noch immer gewaltige Boni an angestellte Unternehmenslenker ausgeschüttet werden. Die Wahrheit ist: Kein Konzern kann es sich leisten, im nationalen oder gar internationalen Wettbewerb auf die besten Kräfte zu verzichten.

Stattet er sie nicht besser aus als die Konkurrenz, wird er sie nicht für sich gewinnen oder halten können. Und um einer weiteren Blauäugigkeit vorzubeugen: Sollten demnächst staatliche Vorschriften den Firmen in dieser Frage Handschellen anlegen, werden sich findige Aufsichtsräte etwas einfallen lassen, die Gehaltsobergrenzen (die übrigens auch zu geringeren Steuerzahlungen führen) zu umgehen.

Denn Erfolge werden, das ist in der Wirtschaft nicht anders als im Sport, von Menschen gemacht. Ohne Wiedeking hätte Porsche schon vor Jahren die Eigenständigkeit verloren und die Deutsche Bank wäre ohne Ackermann womöglich nur ein nettes Regionalinstitut. Man stelle sich vor, wo der Deutsche Vereinsfußball stünde, wenn er sich von Staats wegen keine Diegos, Riberys oder Guerreros mehr leisten dürfte.

Beispiel Afghanistan: Dort wird die Naivität der Massen am deutlichsten. Deutschland ist seit sieben Jahren im Krieg, auch wenn der kommunikationsgestörte deutsche Verteidigungsminister den Einsatz seiner Truppen nicht so nennen will. Seit die Schröder/Fischer-Regierung die Entsendung der Bundeswehr mit der Vertrauensfrage durchgedrückt hat, ist aus den Euphemismen Wiederaufbau und Hilfe zur Selbsthilfe ein bewaffneter Konflikt geworden.

Und man muss nicht den Vietnamkrieg oder gar einen Weltkrieg erlebt haben, um zu wissen, was das bedeutet: Ein Blick auf die einschlägigen Websites, welche die Opfer zählen (z.B. casualty-monitor.org, The-Reality-Page.html oder unknownnews.net/casualties.html), genügt: Menschen werden zerfetzt und verkrüppelt, Familien zerrissen.

Es gibt Tote und Schwerverletzte auf beiden Seiten und unter Zivilisten. Kinder sterben. Das ist Krieg, und so ist er immer. Ganz gleich, ob ein Offizier eine Fehlentscheidung getroffen hat oder Kritik an den Bundeswehrleuten ungerecht ist: Die erst jetzt aus allen pazifistischen Wolken fallen, da wieder sichtbar wird, dass Krieg das Schlimmste ist, was Völker einander antun können, sind naiv.

Wer den Kurs der Bundesregierung in Afghanistan nicht mehr mittragen will, hat am 27. September die Gelegenheit, das zu Protokoll zu geben.

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