Vielleicht liegt es an dem Begriff "Daten". Er ist stets präsent und doch kaum zu konkretisieren. Vielleicht muss man ihn für einen Moment austauschen und durch Worte ersetzen, die bekannter sind. Vielleicht muss man also statt von "Datensparsamkeit" von "Briefsparsamkeit" sprechen, und statt dem Wort "Datenkonsum" sollte man vielleicht "Gesprächskonsum" verwenden.
Wenn man die Begriffe auf diese Weise aus der von Angela Merkel als Neuland betitelten Internetwelt zurückholt in das greifbare Erleben des menschlichen Dialogs, stellt man sehr schnell fest: Die dieser Tage extrem populäre Rede von der Datensparsamkeit als Reaktion auf die Überwachungsskandale Prism und Tempora führt in die Irre. Sie gibt dem Individuum Schuld an einem strukturellen, weil politischen Problem. Und darüber hinaus ist sie - Stichwort Gesprächssparsamkeit - fast schon herrlich absurd.
Schutz durch Schweigen
Das führt allerdings nicht dazu, dass sie weniger populär würde. Die Rede von der Datensparsamkeit ist aus unterschiedlichen Richtungen zu hören: aus dem Bierzelt genauso wie aus dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dort forderte in dieser Woche einer der führenden Internetkritiker im intellektuellen Überflug, was Unionspolitiker vorher schon sehr handfest als Lösung ausgegeben hatten: Evgeny Morozov und Hans-Peter Uhl raten den Bürgern eines demokratischen Landes, sich vor der flächendeckenden Überwachung ihrer Kommunikation dadurch zu schützen, dass sie weniger reden.
Morozov und Uhl verwenden dafür unterschiedliche Ansätze, bedienen sich unterschiedlicher Formulierungen und nutzen andere Bezugsysteme, aber im Kern kommen sie zu dem gleichen Ergebnis: Sie halten den gerade aufgedeckten flächendeckenden Angriff auf den Artikel 10 des deutschen Grundgesetzes nicht für ein politisches, sondern für ein persönliches Problem der Internetnutzer, deren Fernmeldegeheimnis ihnen irgendwie weniger wert zu sein scheint als das derjenigen, die noch anständig Briefe schreiben.
Auslöser für diese kaum grundrechtskompatible Perspektive ist die Tatsache, dass Uhl, Morozov und viele andere Prism, Tempora und alle weiteren staatlichen Überwachungsprogramme in erster Linie für ein Problem aus Merkels Neuland halten. Und da sie diesem Internet aus Klientel- (Uhl) und publizistischen Gründen (Morozov) skeptisch gegenüberstehen, nutzen sie die Ängste ihrer Wähler und Leser, ein massives politisches Problem auf ein Fehlverhalten der ihnen ja ohnehin fremden Internetnutzer zu reduzieren.