Am Donnerstagmittag um Viertel nach eins steigen endlich auch Ibrahim Walid aus Eritrea und seine Begleiter in einen Intercity der Danske Statsbaner und verlassen Padborg Richtung Kopenhagen. Die vergangenen Monate hatten die Afrikaner auf der Flucht verbracht, Libyen, das Mittelmeer, Italien - und nun hatten sie die Nacht in der dänischen Kleinstadt an der Grenze zu Schleswig-Holstein ausgeharrt. Zwangsweise. "Die Polizei wollte, dass wir uns registrieren", sagt Walid. Doch das wollen die Flüchtlinge nicht. Sie sind mit einem deutschen Papier aus Rosenheim auf dem Weg zu Verwandten nach Schweden und haben nicht die Absicht, weitere Fingerabdrücke abzugeben, mit Folgen, die sie nicht abschätzen können.
Auch auf der anderen Seite der Grenze, in Deutschland, hatten Immigranten umringt von Freiwilligen am Bahnhof die Nacht verbracht, weil Dänemarks Regierung den Transit gestoppt hatte. "Türkei schlecht, Ungarn schlecht, Dänemark schlecht", sagt ein Syrer deprimiert. Einer Helferin von Dänemarks Rotem Kreuz ist das peinlich: "Wir waren mal so gut", sagt sie an den Gleisen von Padborg. "Ich hoffe, das wird wieder besser."
Viele der Flüchtlinge an der Grenze wollen zu Verwandten oder Freunden nach Schweden
Dabei ist es so verwunderlich nicht, dass die Flüchtlinge nicht in Dänemark bleiben möchten. Das liegt gewiss an der neuen, konservativen Regierung in Kopenhagen und überhaupt am Rechtsruck im Land. Allerdings nicht nur. Aber er hat einiges dazu beigetragen, dass Flüchtlinge genau das sagen: "Dänemark schlecht." Schon die Sozialdemokraten hatten vergangenes Jahr das Asylrecht verschärft, es Flüchtlingen erschwert, ihre Familien nachzuholen, und die Aufenthaltserlaubnis für Flüchtlinge aus Syrien zunächst auf ein Jahr beschränkt.
Dann gab es Wahlen im Juni, die Debatte heizte sich auf. Nicht nur die Rechtspopulisten sprachen von Ghettos und Parallelgesellschaften. Die Volkspartei möchte Dänemark am liebsten ganz abschotten, mit dauerhaften Grenzkontrollen, und jeden Flüchtling dorthin zurückzuschicken, wo er herkommt. Bei der Wahl holte sie 21,1 Prozent und ist damit stärker als die Regierungspartei, die Liberalen. Die hat den Ton der Rechtspopulisten übernommen. Erst in dieser Woche schaltete die Regierung Anzeigen in mehreren libanesischen Zeitungen, mit der Botschaft, dass sich die Flucht nach Dänemark nicht lohnt.
Doch nun sind die Menschen da, geschätzt 3200, und die Regierung steht vor einem Dilemma. Die Flüchtlinge wollen nicht bleiben, nur 668 haben in Dänemark Asyl beantragt. Insofern hat die Abschreckung funktioniert. Doch die Regierung darf sie nach den EU-Regeln auch nicht einfach weitereisen lassen nach Schweden.
Schweden hält an der Dublin-Vereinbarung fest
Das Nachbarland hat einen völlig anderen Ruf als Dänemark: Großzügige Asylpolitik, großzügige Familienzusammenführung, kein Land nimmt im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Menschen auf. Schweden hat eine lange Tradition darin, Menschen Zuflucht zu gewähren, zuletzt vor allem Irakern, Syrern und Eritreern. Viele, die nun auf der Flucht sind, haben daher bereits Verwandte oder Freunde in Schweden. Zu denen möchten sie nun weiterreisen. In den vergangenen Tagen hörte man jedoch neue Töne aus Schweden: Die Regierung hat angedeutet, dass Schwedens Aufnahmefähigkeit Grenzen habe. Sie fordert, dass andere Verantwortung übernehmen sollten. Auch deswegen hält Schweden an den Dublin-Regeln fest: Menschen, die in Dänemark stranden, sollen dort Asyl beantragen.
Doch wie soll das gehen? Die dänische Polizei hat zwar entschieden, die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Schweden nicht mehr aufzuhalten. Aber sie handelte eigenmächtig. Es fehlt die politische Lösung. Der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen hatte die schwedische Regierung um ein Krisentreffen gebeten, doch die hat abgelehnt. Ausgerechnet Dänemark, das in Flüchtlingsfragen schon länger eigene Wege geht und bei der europäischen Asylpolitik nicht mitmacht, ist nun auf Kooperation angewiesen.
Wer diese Abschottungspolitik verstehen will, muss wissen, wie der dänische Sozialstaat funktioniert. Viele Dänen sehen sich in einer Art Schicksalsgemeinschaft verbunden. Jeder zahlt dafür verhältnismäßig viel Steuern, wird im Notfall aber auch aufgefangen. Die dänischen Sozialleistungen sind hoch, jemanden davon auszuschließen widerspricht der Idee des Systems. Deswegen sind die Hilfen für Flüchtlinge vergleichsweise hoch. Obwohl sie Anfang dieses Monats um die Hälfte gekürzt wurden, bekommt ein alleinstehender Flüchtling immer noch rund 800 Euro - genauso viel wie ein dänischer Student.
In Dänemark brannten bisher noch keine Flüchtlingsunterkünfte
Weil dieses Sozialsystem zur dänischen Identität gehört, reagieren die Dänen besonders empfindlich, wenn daran rumgekürzt wird. In den letzten Jahren ist das passiert, der Staat musste sparen. Die Volkspartei hat nicht nur deswegen so viele Stimmen gewonnen, weil sie versprach, Fremde von Dänemark fernzuhalten. Vor allem hat sie auch versprochen, die soziale Wärme zurückzuholen und zu verteidigen.
Macht das die Dänen potenziell fremdenfeindlich? Dem Zusammengehörigkeitsgefühl liegt noch ein anderes Prinzip zugrunde: Alle sind gleich, niemand ist besser, klüger oder anders. Sich als Außenstehender zu integrieren, fällt da schwer. Wenn die Dänen auf etwas stolz sind, dann selten auf die eigene Leistung, sondern auf ihre gemeinsame. Und ihnen ist ihre Souveränität wichtig, sie lassen sich ungern reinreden von den großen Nachbarn Schweden und Deutschland oder von Brüssel.
Trotzdem haben sie immer geteilt. Aber sie haben eben selbst bestimmt wie viel. Dänemark nimmt nicht wenige Flüchtlinge auf, im Verhältnis zur Einwohnerzahl liegt das Land an fünfter Stelle in Europa. Deswegen schämen sich viele nun auch für die Abschottungspolitik ihrer Regierung. Auf deren Anti-Flüchtlingsanzeige reagierten sie, indem sie aus Spenden finanzierte Gegenanzeigen schalteten, in denen sie Flüchtlinge willkommen hießen. Die Flüchtlinge, die in Dänemark aus den Zügen steigen, stoßen auf dieselbe Hilfsbereitschaft wie in Schweden und in Deutschland. Und in Dänemark brannten, anders als in den größeren Nachbarländern, bisher noch keine Flüchtlingsunterkünfte.