Er steht vorne auf der Bühne und müht sich redlich. Schon nach der Hälfte der Redezeit klingt seine Stimme heiser. Er ruft markige Sprüche ins Mikrofon wie "Bildung statt Schnaps" oder "Aktivieren statt Alimentieren". Es geht um das Sparpaket bei Hartz IV und darum, dass es in der Verantwortung einer christlichen Partei liege, dafür zu sorgen, dass Geld richtig investiert werde. Dann spricht er noch von Bayern, das in allen Bereichen Vorbild sei, vor allem auch in Sachen Integration: "Wir können als Bayern alles - auch Hochdeutsch!"
Es sind echte Steilvorlagen, die Parteichef Horst Seehofer den Delegierten liefert. Aussagen, die einen CSU-Parteitag in Wallung bringen können. Normalerweise. Doch diesmal plätschert der Applaus während der fast zweistündigen Rede des Vorsitzenden müde vor sich hin. Seehofer braucht viel Anlauf und einen riesigen Strauß an Themen, bis im Saal vereinzelte "Bravo"-Rufe erklingen.
Die Rede des Parteivorsitzenden war mit Spannung erwartet worden. Die CSU erlebt unruhige Zeiten, der Unmut an der Basis ist groß. Manche sprechen von Aufruhr, andere von Putsch. Angesichts schlechter Umfragewerte gibt es eine Diskussion um die Nachfolge des Parteichefs. Die Frage, ob Seehofer noch der richtige Anführer ist, schwebt über dem Parteitag. Dazu muss sie nicht auf der Tagesordnung stehen.
Nicht immer gelingt es den Delegierten an diesen zwei Tagen in der Münchner Messehalle, ihren Unmut zurückzuhalten. Am Freitag haben sie lange und emotional über die Frauenquote diskutiert. Es war Seehofers Projekt - doch es brauchte die Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, bis die Basis schließlich dem Parteichef folgte.
Bei einem Thema hingegen, das Horst Seehofer noch bis vor kurzem als "Markenkern" der Partei bezeichnet hatte, gab es keinen Widerstand. Ohne Diskussion und mit großer Mehrheit verabschiedete sich die Partei von der Wehrpflicht. Weil Guttenberg es so wollte.
Der Thronfolger und vielleicht Kanzler in spe hält sich auch an diesem Samstag vornehm zurück. Er sitzt in der zweiten Reihe vor der Bühne schräg hinter Edmund Stoiber, der die Rede von Seehofer meist regungslos verfolgt, gar ein wenig missmutig die Fotografen vor ihm mustert.
Vorne zählt Seehofer die Verdienste der CSU auf. Er holt dafür weit aus und spricht fast jeden im Vorstand, der in den ersten zwei Reihen vor ihm sitzt, persönlich an. Ilse Aigner, die "liebe Christine Haderthauer", Ludwig Spaenle, Joachim Herrmann, Georg Schmid, Peter Ramsauer. Bei allen bedankt er sich für ihre Verdienste für die Partei. Einen Namen aber erwähnt er nicht: Karl-Theodor zu Guttenberg.
Andere sprechen dafür umso mehr von dem Baron. Georg Bogensperger zum Beispiel. Der zurückhaltende Herr sitzt hinten im Saal, ein gutes Stück von der Bühne entfernt. Und auch vom Parteivorstand. Bogensperger vertritt den Kreisverband Bamberg, er hat gesunde rote Wangen. Wenn er von dem Star seines Kreisverbands spricht, werden sie noch ein wenig röter.
Bogenspergers Star ist der Oberfranke Karl-Theodor zu Guttenberg. Von Anfang an habe er dessen politische Karriere verfolgt, sagt er. Und auch wenn Guttenberg selbst alle Ambitionen von sich weist und von "depperten Personaldebatten" spricht, ist Bogensperger sich sicher: Spätestens im nächsten Jahr werde die Diskussion um die Seehofer-Nachfolge im vollen Gange sein.
Ob er schon mit dem Freiherrn darüber gesprochen hat? "Nein", sagt Bogensperger. "Aber in seiner Nähe konnte ich schon sein."
Ein bisschen Nähe reicht. Allein Guttenbergs Anwesenheit ist wie Balsam für die Parteiseele. So wirkt es, aber so will es mancher nicht wahr haben. Seehofer war schließlich auch mal der Liebling der Basis. Das man ihn "absägen" wolle, das sei völliger Blödsinn, betont etwa Mario Schmidbauer, CSU-Stadtrat in München. Auch er ist sich allerdings sicher: Gutttenberg sei der Mann der Zukunft. Bleibt nur die Frage, wann die Zukunft beginnt.
Seehofer will sie noch ein wenig verschieben. Er ist die Gegenwart, und mit seiner Rede will er sie verlängern. Er weiß, was sich die Delegierten von seiner Rede erhoffen: Ein Signal der Geschlossenheit, einen Grund, stolz auf sich zu sein. Also zählt der Parteichef die Verdienste der CSU um Bayern auf. "Wir haben allen Anlass zum Selbstbewusstsein", sagt er und schafft es sogar, das Thema BayernLB lobend zu erwähnen: "Die Bank schreibt wieder schwarze Zahlen". Stoiber quittiert es mit einem Lächeln.
Und dann geht es um das Thema, mit dem Seehofer in den letzten Wochen eine hitzige Debatte ausgelöst hat: die Integration im Allgemeinen. Und das Bekenntnis der CSU zur deutschen Leitkultur im Besonderen. Seehofer wehrt sich in seiner Rede gegen den Vorwurf, seine kritischen Äußerungen seien rechtsradikal. "Wenn das, was ich sage, rechtsradikal ist, sind zwei Drittel der Bevölkerung rechtsradikal", sagt er.
Dafür gibt es Applaus. Doch der wirkt seltsam unmotiviert. Die Delegierten hängen in ihren Stühlen, einige in den hinteren Reihen haben gar die Augen geschlossen. Das ändert sich erst, als Seehofer sich auf den politischen Gegner einschießt.
"Immer, wenn es darauf ankommt, sind sie die Versager in der deutschen Politik", ruft Seehofer. "Großer Anspruch, aber keine Glaubwürdigkeit." Er meint die Grünen - und erntet reichlich Applaus. "Holt die Grünen runter von der hohen Palme der Moral", sagt er. Dresche für die Ökopartei - das zieht. Seehofer ist beinahe am Ziel. Die Delegierten jubeln.
Sein Sprachtempo wird immer schneller, je näher sich Seehofer dem Ende seiner Rede nähert. "Wir lassen uns nicht kleinreden", sagt er. "Die CSU strotzt vor Kraft. Hört endlich auf, euch selbst zu geißeln." Und: "Wir werden den Grünen und den Namenlosen im Landtag entgegentreten, weil sie unser Land pausenlos schlechtreden." Schließlich fordert er, Bayern müsse als eigenständiges Land bei den Olympischen Spielen antreten - "damit wir unter den Ersten sind".
Jetzt hat er die Delegierten auf seiner Seite, die Stimmung ist eines CSU-Parteitags würdig. Es gibt Bravo-Rufe, stehenden Applaus, glückliche Gesichter.
Seehofer lächelt, er wischt sich den Schweiß von der Stirn, begibt sich in Siegerpose. Er hat es noch einmal geschafft. Ganz ohne die Hilfe von Karl-Theodor zu Guttenberg.