CSU:Ein schwarzer Tag

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Horst Seehofer fährt eines der schlechtesten Ergebnisse der CSU in der Geschichte der Bundestagswahlen ein. "Es gibt nichts schönzureden", sagt er. Jetzt gelte es, klare Kante zu zeigen.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl, München

Um 18.32 Uhr schiebt sich Horst Seehofer durch die Wand aus Menschen in der CSU-Zentrale. Es ertönt kräftiger Applaus, sogar Bravo-Rufe sind zu hören. Doch das, was der Parteichef gleich zu sagen hat, will nicht annähernd zu dem freundlichen Empfang passen. 38,5 Prozent weisen die ersten Prognosen des Bayerischen Rundfunks aus, es wäre das zweitschlechteste Ergebnis der CSU bei einer Bundestagswahl. Nur 1949, bei der ersten Wahl, schnitten die Christsozialen schlechter ab, seither sind sie nie mehr unter die Vierziger-Marke gerutscht. Es ist ein historisch schwarzer Tag.

"Wer will, kann gerne über mich diskutieren oder zu weiteren Taten schreiten."

Als Klartext-Partei hatte Seehofer die CSU im Wahlkampf inszeniert, Klartext spricht er nun selbst: "Es gibt nichts schönzureden", sagt er. Das Wahlergebnis sei "eine herbe Enttäuschung". Seit September habe die Union "eine offene Flanke auf der rechten Seite" gehabt, nun komme es darauf an, diese Flanke zu schließen, "mit klarer Kante und klaren politischen Positionen". Aber wird er überhaupt der Mann sein, der nach diesem dramatischen Einbruch dazu noch die Gelegenheit bekommt? Mehr als zehn Prozent liegen die Prognosen unter dem Wahlergebnis von 2013. "Eine Katastrophe", sagt Erwin Huber, Seehofers Vorgänger an der Parteispitze. Ob man das Ergebnis sogar mit dem Erdrutsch von 2008 vergleichen könne, als die CSU in Bayern vom Himmel der Zweidrittelmehrheit in die Hölle der Koalitionsregierung gestürzt war? "Heute ist es noch viel schlimmer", sagt Huber.

Eine explizite Personaldebatte will an diesem Abend dennoch keiner starten. Seehofer macht deutlich, dass er an seinem Führungsanspruch festhält. Die CSU müsse mit Blick auf die für sie noch wichtigere Landtagswahl im kommenden Jahr nun so arbeiten, dass das Vertrauen wieder steige, sagt Seehofer: "Ich bin dazu bereit - und ich bitte euch, dass ihr uns unterstützt."

Auf der Bühne stehen seine Getreuen und klatschen rhythmisch Beifall: die Parteivizes Manfred Weber und Angelika Niebler, Generalsekretär Andreas Scheuer und sein Stellvertreter Markus Blume, die oberbayerische Bezirkschefin Ilse Aigner und Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Spitzenkandidat Joachim Herrmann steht vor den Kameras in Berlin, ein anderer, der in den nächsten Tagen in den Mittelpunkt rücken könnte, hält sich an diesem Abend in Nürnberg auf: der ehrgeizige Finanzminister Markus Söder, dessen Zeit nun schneller kommen könnte, als er vielleicht selbst gedacht hatte. In der Partei werden bereits Szenarien entworfen, wonach Seehofer bis 2018 Ministerpräsident bleiben dürfe, Söder aber als Spitzenkandidat in die Landtagswahl ziehe und in diesem November den Parteivorsitz übernehmen könnte. Seehofer erweckt allerdings nicht den Eindruck, dass er diesen Gedanken etwas abgewinnen möchte.

Die CSU unter 40 Prozent? Bis vor Kurzem undenkbar in Bayern. Der Parteivorsitzende Horst Seehofer gibt sich nach Bekanntwerden des historisch schlechten Ergebnisses für seine Partei trotzdem kämpferisch. (Foto: Lennart Preiss/Getty Images)

Er signalisiert Kampfbereitschaft: "Wer will, kann gerne über mich diskutieren oder zu weiteren Taten schreiten", sagt Seehofer. Und er kündigt einen harten Kurs für die Koalitionsgespräche in Berlin an. "Ich möchte euch zusagen, dass wir keinen falschen Kompromiss eingehen." Dies alles werde auf der Grundlage des Bayernplans geschehen, in dem auch die Obergrenze von jährlich 200 000 Flüchtlingen steht. Parteivize Weber erinnert sogleich daran, dass ohne CSU-Beteiligung keine unionsgeführte Regierung gebildet werden kann. Personaldiskussionen schließt er aus, nicht aber eine Jamaika-Koalition.

Wie schwer und wie unvermittelt das Wahlergebnis die CSU getroffen hat, zeigt sich in jeder Ecke der als Wahlparty apostrophierten Veranstaltung: "Das hätte ich nicht erwartet", stammelt Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer, der nicht mehr kandidiert hat. Die CSU ist seit jeher eine nervöse Partei, doch an eine Aufregung wie vor dieser Bundestagswahl konnten sich selbst alte Recken kaum erinnern. Die neue Konkurrenz vom rechten Rand, die Zerrissenheit der Mitglieder in der Flüchtlingspolitik, die sinkenden Umfragewerte der Union - das alles hatte bei manchen fast schon Panikattacken ausgelöst. Wie sich nun zeigt: Das schlechte Bauchgefühl war begründet.

Auch die genauere Ursachenforschung war hinter verschlossenen Türen schon vor dem Wahlsonntag fortgeschritten. Nun wird sie öffentlich werden. Die AfD? Viel zu spät angegriffen von der CSU! Die Obergrenze für Flüchtlinge? Erst als Koalitionsbedingung genannt, dann wieder nicht! Der Schulterschluss mit Merkel? Kein tragendes Fundament! Zu lange, zu heftig habe man die Kanzlerin attackiert und die eigenen Mitglieder beim Tempo der Versöhnung dann überfordert. Dazu kämen handwerkliche Fehler wie zuletzt bei der Kriminalitätsstatistik, als die Zahl der Vergewaltigungen irrtümlich hoch ausgewiesen wurde. Und dann noch die vielen Spekulationen, die Verunsicherung geschürt hätten: über die Kabinettsumbildung in Bayern oder ein Jamaika-Bündnis in Berlin, das Stammwähler verschrecke.

Die Unzufriedenheit sickert aus vielen Ecken der Partei, in Richtung Horst Seehofer

Die Unzufriedenheit sickert aus vielen Ecken der Partei, sie läuft aber nur in eine Richtung: zu Horst Seehofer, dem Chef, der auf dem Parteitag explizit um Vertrauen für seine Strategie geworben hatte. Er trage die Verantwortung, damit sei die CSU bisher gut gefahren. Und wenn die Wahl schiefgehe, könne man ihn danach immer noch köpfen, so hatte es Seehofer vor der Fraktion gesagt. Jetzt werden diese Sätze wieder hervorgekramt. Es ist ziemlich schiefgegangen.

Sein erster Gedanke sei gewesen: "Das kann doch nicht wahr sein", sagt Seehofer.

Aber auch er hat wohl etwas geahnt. Drei Tage vor der Wahl hat er versucht vorzubauen, er bat Journalisten überraschend zum Gespräch. Die CSU steht laut internen Umfragen bei 48 Prozent, das wäre ein starkes Ergebnis, doch niemand will den Vorhersagen trauen. Der CSU-Chef hält schon jetzt eine Rechtfertigungsrede, wie er sie auch vor dem Parteivorstand an diesem Montag halten könnte. Wie immer die Wahl ausgehe: "Hochzufrieden" sei er mit der Strategie, man habe "millimetergenau umgesetzt", was man beschlossen habe. Seehofer verteidigt vorauseilend die Wahlkampfführung und die "goldrichtige Entscheidung" pro Merkel, lobt den Spitzenkandidaten Joachim Herrmann ("glänzende Figur"). Jeden Vorwurf will er entkräften, vorsorglich warnt er die versteckten Kritiker in seiner Partei, die er verächtlich nur "Pyjama-Strategen" nennt: "Wenn ich in keiner Sitzung was sage und dann im Schutz der Anonymität mein Werk verrichte, braucht sich niemand zu melden nach Sonntag." Er werde sagen können: "Es war vom Wahlkampf eine hervorragende Geschichte. Wir haben getan, was wir tun können - und das sehr perfekt."

Und jetzt ist dieser Sonntag da. Perfekt ist nur das Desaster.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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