Es ist noch keine drei Wochen her, da trat im Pariser Vorort Rueil-Malmaison ein sehr selbstbewusster Peugeot-Chef vor die Presse. "Wenn diese Turbulenzen anhalten, dann wird Peugeot in einer deutlich robusteren Verfassung sein als unsere Wettbewerber", frohlockte Carlos Tavares. Seine Logik Ende Februar: Der Peugeot-Konzern, zu dem inzwischen auch Opel gehört, stellt vor allem in Europa her, in China aber, dem Land der Corona-Seuche, ist die Produktion kaum der Rede wert, allenfalls ein paar Hunderttausend Fahrzeuge im Jahr, einige Prozentpunkte in der Bilanz, nicht mehr. Und jetzt?
"Wer sich in dieser Krise als Gewinner fühlt, denkt zu kurz", sagt Jochen Siebert, Geschäftsführer der Beratungsfirma JSC Automotive in Shanghai. "Vor einem Monat noch war China das Sorgenkind der Autoindustrie, im Moment aber ist es die Hoffnung." Während in Europa Opel und auch Volkswagen die Werke dichtmachen, die Autohäuser schließen und die großen Verkaufsmessen abgesagt sind, geht das Geschäft in der Volksrepublik, dem größten Automarkt der Welt, allmählich wieder los. "Seit dem 13. März sind alle Fabriken im Land am Laufen", sagt Siebert. "Als letzter Hersteller hat Honda seine Produktion in Wuhan hochgefahren." Selbst im Epizentrum der Pandemie arbeiten sie also wieder.
Vor allem für die deutschen Konzerne könnte China zur Entlastung werden. Volkswagen ist mit mehr als vier Millionen verkauften Autos der größte Hersteller in der Volksrepublik. Fast 40 Prozent aller Wagen setzt der Konzern in China ab. Daimler verkauft in keinem Land der Welt mehr S-Klasse-Limousinen. Und BMW hat sich sogar entschieden, 2022 zum Mehrheitseigentümer seines Joint-Ventures in Nordostchina zu werden. In Summe machen deutsche Autohersteller und die Zulieferer in China pro Jahr mehr als 150 Milliarden Euro Umsatz. Pro Tag sind das 600 Millionen Euro - und 60 Millionen Euro Gewinn. Das stand auf dem Spiel.
Um 80 Prozent waren die Absätze im Februar im Vergleich zum Vorjahresmonat eingebrochen. Noch eindrucksvoller ist es, wenn man sich den Schlamassel in absoluten Zahlen ansieht. Eine einzige reicht dafür: 4909. Genau so wenige Wagen wurden laut chinesischem Automobilverband in den ersten 16 Februartagen in der Volksrepublik verkauft. 4909 Fahrzeuge im eigentlich größten Automarkt der Welt. Das macht im Schnitt 307 Stück in 24 Stunden. Statistisch gesehen werden 307 Wagen in China sonst alle siebeneinhalb Minuten verkauft. Doch niemand kaufte. Die Autohäuser waren geschlossen, die Menschen verschanzt in ihren Wohnungen und Häusern, wie jetzt in Italien, Spanien und auch in Frankreich.
Eigentlich hätte die Produktion in China bereits Mitte Februar wieder anlaufen sollen. "Es hat sich jedoch herausgestellt, dass es einfach ist aufzuhören, aber viel schwieriger, wieder anzufangen", sagt Autoexperte Siebert. Zunächst einmal fehlten die Arbeiter in den Werken, aufgrund der innerchinesischen Reisebeschränkungen konnten in den ersten Februarwochen die meisten Angestellten aus den Frühlingsfestferien, die viele in den Heimatprovinzen verbracht hatten, nicht pünktlich zur Arbeit erscheinen. All jene, die rechtzeitig eintrafen, mussten sich zunächst in zweiwöchige Quarantäne begeben. Erst dann konnte die Produktion langsam wieder angefahren werden.
Aus Fabrikleitern wurden so über Nacht Krisenmanager. Wie bekommt man für jeden Arbeiter am Band eine neue Atemschutzmaske pro Tag her? Wo kauft man auf die Schnelle tonnenweise Desinfektionsmittel? Und was passiert bei einer Neuansteckung im Werk? Manche Unternehmen fingen in der Not an, selbst Masken herzustellen. Der Elektroautobauer BYD aus Shenzhen in Südchina ist so zu einem der größten Mundschutzproduzenten der Welt geworden.
Noch ist es allerdings viel zu früh, vom Ende der Krise in China zu sprechen. Derzeit liegt die Produktion laut Daten des chinesischen Automobilverbands bei etwa der Hälfte der Kapazität. "Und das wird noch ein Weilchen so bleiben", prognostiziert Jochen Siebert. Zwar sind wieder alle Fabriken am Start, aber nicht alle Zulieferer. Vor allem mittelständische Betriebe, die oft Sublieferanten dritten oder vierten Grades sind, haben es noch nicht geschafft, die Produktion wieder aufzunehmen. "Viele dieser Firmen leben von der Hand in den Mund. Zwei Monate Zwangspause, das war womöglich zu viel für sie, im schlimmsten Fall sind sie insolvent", sagt Siebert. "Alle Hersteller untersuchen gerade ihre Lieferketten in China, wo gibt es Schwachstellen? Was läuft wieder?" Und auch: Was muss sich künftig ändern?
Vor ein paar Wochen noch herrschte Chaos in China. In vielen Häfen stapelten sich die Container, der Zoll gab nichts frei, weil Personal fehlte; zudem hatte fast jede Provinzverwaltung eigene Gesundheitsregularien erlassen, die sich im Tagesrhythmus änderten. Wenn ein Container dann einmal im Land war, begann das nächste Problem. Wie bringt man ihn zur Fabrik, wenn keine Lkw-Fahrer mehr da sind, weil sie alle in 14-tägige Quarantäne müssen, sobald sie eine Provinzgrenze überqueren? In der Not versuchte mancher Manager, wichtige Bauteile im Koffer aus Europa ins Land zu schmuggeln. "Die Konsequenz muss sein, dass Lieferketten künftig transparenter und kürzer werden", sagt Jochen Siebert.