Abschlussbericht der Corona-Kita-Studie:Lauterbach nennt Kita-Schließungen unnötig

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Umstrittenes Rechenspiel: Die Kita Haar gGmbH hält die Erhöhung der Gebühren für notwendig, um die Einrichtungen zu erhalten und die pädagogische Arbeit fortzuführen. (Foto: Bernd Settnik/dpa)

Mit dem Wissen von heute hätte man Betreuungseinrichtungen für kleine Kinder nicht zumachen dürfen. Das ist eine der Kernaussagen einer Studie, die der Gesundheitsminister und Familienministerin Paus vorgestellt haben. Weitere Ergebnisse im Überblick.

Von Oliver Klasen

Welche Rolle spielen Kita-Kinder beim Infektionsgeschehen in Deutschland? Und welche Folgen hat die Pandemie für die Kinder, ihre Familien und die Kitas? Diese beiden Fragen standen im Zentrum der Corona-Kita-Studie, deren Ergebnisse Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Mittwoch vorgestellt haben. Beide Ministerien haben die Studie finanziell gefördert, durchgeführt wurde sie von Forscherinnen und Forschern des Deutschen Jugendinstituts und des Robert-Koch-Instituts, und zwar im Zeitraum von März 2020 bis Juni dieses Jahres.

Lauterbach betonte, dass die Kitas und die Kita-Kinder "keine wichtigen Treiber der Pandemie" gewesen seien. Und der Minister benannte einen Fehler der Corona-Politik: Die Kita-Schließungen zu Beginn der Pandemie seien "definitiv medizinisch nicht angemessen" gewesen und seien "in dem Umfang, wie wir es damals gemacht haben, nach heutigem Wissen nicht nötig gewesen". Andere Maßnahmen wie die Bildung von Kleingruppen, Hygienemaßnahmen sowie Kontaktbeschränken hätten dagegen Wirkung gezeigt.

"Kinder haben extrem gelitten unter der Pandemie", betonte Paus. Grund dafür seien zumeist nicht die Infektionen gewesen, sondern die Folgen der Kita- oder Schulschließungen. Es habe besonders jene Kinder getroffen, die ohnehin schon sozial benachteiligt seien. Die Pandemie habe die soziale Ungleichheit erheblich verschärft. Depressionen, Angsterkrankungen und Essstörungen hätten besonders bei jenen Kindern stark zugenommen, deren Eltern über ein geringes Einkommen verfügen. Kitas mit vielen Kindern aus sozial benachteiligten Familien hätten jetzt einen fast doppelt so hohen Förderbedarf etwa bei Sprache oder Motorik wie vor der Pandemie.

Paus und Lauterbach versprachen, dass die Hilfe für Kinder, die unter den Folgen der Pandemie leiden, verstärkt wird. So werde man mehr Therapiemöglichkeiten für psychisch belastete Kinder schaffen. Diese sei mit den derzeit vorhandenen Kapazitäten nicht möglich, in Zusammenarbeit mit den kassenärztlichen Vereinigungen werde man aber über Sonderzulassungen mehr Therapieangebote bereitstellen.

Einige ausgewählte weitere Ergebnisse der Studie im Überblick:

Infektionshäufigkeit und Infektionsschwere: Kinder von bis zu fünf Jahren waren weniger von Corona-Infektionen betroffen als andere Altersgruppen. Die Kinder, die erkranken, hatten zumeist keine oder nur wenige Symptome; schwere Krankheitsverläufe waren selten, Todesfälle sehr selten. Während der Wildtyp des Coronavirus zirkulierte, also in den ersten beiden Pandemiewellen, war das Risiko, dass ein Kind im Kita-Alter als Covid-19-Fall an das RKI übermittelt wird, im Vergleich zu einem Erwachsenen noch um 70 Prozent niedriger. Bei den nachfolgenden Coronavarianten näherte sich das relative Risiko der Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren jenem der Erwachsenen an, es blieb jedoch auch in diesen Phasen der Pandemie um ungefähr 20 Prozent niedriger. Die Inzidenz bei Kindern im Kita-Alter bewegte sich "während der gesamten Pandemie unterhalb derjenigen der Kinder im Schulalter sowie auch derjenigen der 21- bis 29-jährigen Erwachsenen", heißt es in dem Bericht.

Ansteckung in der Kita: In einem Teilmodul der Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen Oktober 2020 und Juni das Infektionsgeschehen in 30 Kita-Gruppen untersucht. Die Daten von mehr als 400 Kindern und mehr als 500 Erwachsenen, Eltern und Kita-Personal, gingen dabei in die Untersuchung ein. Ein zentrales Ergebnis dabei war: Die Ansteckungsrate in der Kita selbst lag dabei etwa fünfmal niedriger als in den Haushalten der betroffenen Familien.

Gesundheitsschutz in der Kita: Die Schutz- und Hygienemaßnahmen in den Kitas waren wirksam, allerdings "im Verlauf der Pandemie mit leicht unterschiedlicher Schwerpunktsetzung", wie es in dem Abschlussbericht der Studie wörtlich heißt. Besonders nützlich gewesen sei etwa das "Bilden von Kleingruppen mit fester Personalzuweisung sowie das Tragen von Masken durch Erwachsene, vor allem in Innenräumen". Was die Hygienemaßnahmen angeht, habe das Lüften der Räume in der Kita einen infektionshemmenden Effekt gehabt, nicht jedoch das regelmäßige Desinfizieren der Oberflächen. Schutz-Hygienemaßnahmen nehmen jedoch die Zeit der Erzieherinnen und Erzieher erheblich in Beschlag und können zulasten der pädagogischen Arbeit gehen.

Impfquote beim Kita-Personal: Etwa 85 Prozent der Kita-Erzieherinnen und Erzieher sind geboostert, haben also in aller Regel mindestens drei Impfungen erhalten. Diese Quote ist deutlich höher als im sonstigen Bevölkerungsdurchschnitt.

Ungewollte Folgen der Kita-Schließungen und Kontaktbeschränkungen: Weil die Kinder während der Pandemie weniger Kontakt zu anderen Kindern hatten, kam es - als die Betreuungseinrichtungen dann wieder offen waren - zu einem Nachholeffekt in Bezug auf andere Atemwegserkrankungen. Diese traten in den Pandemiejahren verstärkt auf, was Kinder, Familien und Kita-Personal stark belastete.

Mit Material der Nachrichtenagenturen

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