Corona:Schluss mit dem Gejammer

Der Kampf gegen die Pandemie bürdet jedem Einschränkungen auf. Um diese besser zu ertragen, hilft manchmal ein Blick in die Vergangenheit.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Großstadt hat sich in einen Hotspot verwandelt, in dem Techno nicht mehr hinter Clubmauern hämmert, sondern in Dutzenden Privatwohnungen. Aber noch lauter ist das Gejammer. Darüber, dass es nach 23 Uhr keinen Alkohol im Späti geben, dieser letzte Zufluchtsort der Hedonisten dem Virus geopfert werden könnte. Und dass ein verlorenes Jahr für die Generation Club bevorstehe. Es ist höchste Zeit, dieses polarisierende Gerede zu beenden. Der Maßstab in der Pandemiebekämpfung darf sich nicht am Alter orientieren, sondern an dem, was zumutbar und machbar ist.

Die zur Schau gestellte Corona-Müdigkeit ist unverhältnismäßig. Auch vor 30, 40 oder 70 Jahren waren Menschen gezwungen, persönliche Lebensentwürfe einer neuen Realität anzupassen. Allerdings einer wesentlich dramatischeren als dieser Pandemie. Man kennt die Erzählungen der Großeltern aus den Vierzigerjahren, als Diktatur und Krieg alles beherrschten. Die Jungen von damals sind die Alten von heute, die jetzt alleine zu Hause oder in Seniorenheimen geschützt - oder auch weggesperrt werden sollen. Kann man die Hoffnungen und Ansprüche der Jungen von damals gegen die von heute aufrechnen? Nein, das kann man nicht. Weil es ausgrenzt und neue Ungerechtigkeiten schafft.

Man muss nicht so weit zurückschauen, um zu sehen, wie Lebensentwürfe von heute auf morgen kippen. Es ist dreißig Jahre her, dass in Ostdeutschland vier von fünf Erwachsenen ihren Job verloren, eine halbe Generation ihren Berufs- und Studienabschluss nicht anerkannt bekam. Da gab es verlorene Schicksale; haben Bürger jeden Alters darum gekämpft, Boden unter die Füße zu bekommen. So dramatisch ist es jetzt in der Pandemie - glücklicherweise - nicht. Aber sich daran zu erinnern, das hilft, Entbehrungen zu gewichten.

Im Grunde genommen geht es um eine simple Rechenaufgabe. Um die Dynamik der Neuinfektionen zu brechen, müssen die Kontakte halbiert werden. Wenn als gesetzt gilt, dass die Wirtschaft sowie Schulen und Kitas offen gehalten und dort keine Kontakte reduziert werden, bleiben nur die privaten Kontakte. Das hört sich abstrakt gerechnet logisch an. Genau diese Rechnung bringt aber in der konkreten Konsequenz die Entbehrungen, die gefürchtet werden. Was wird aus dem geliebten Familienfest zu Weihnachten? Aus der Party zu Silvester? Dem runden Geburtstag? Die Wahrheit ist, dass es keiner voraussagen kann.

Es ist richtig, im Interesse aller Generationen abzuwägen, ob Wirtschaftskontakte wirklich gegen private aufzurechnen sind. Besser wäre es, einen Weg zu suchen, der das eine weitgehend ermöglicht ohne das andere wegzulassen. Entscheidend ist auch, dass das politische Spitzenpersonal nicht schon Wahlkampf spielt. Wer in der Opposition ist wie die FDP, kann leicht fordern, nicht über die Maße zu dramatisieren und erst die Alarmstufe Rot auszurufen, wenn die Alten in den Heimen sterben. Wirklich? Werden hierzulande Särge mit Corona-Toten zu sehen sein, geht das Scheitern mit CDU, CSU und SPD nach Hause - und in den Wahlkampf. Auch das treibt, nebenbei bemerkt, die große Koalition an, erfolgreich zu sein.

Das Jammern auf hohem Niveau ist eine Energieverschwendung, die sich die Bundesrepublik nicht mehr leisten kann. Alle müssen sich jetzt zusammenreißen, für sich und alle anderen. Und auch daran sollte man denken: Zuerst war das Virus da. Erst danach begannen Ministerpräsidenten und Bundesregierung mit den Maßnahmen gegen die Pandemie.

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