Corona-Einschränkungen:Ruhe in den Straßen, viel Arbeit vor Gericht

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Auch diese Bar in Berlin-Mitte darf von Montag an keinen Gast mehr empfangen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die verschärften Corona-Regeln könnten eine Welle von Klagen auslösen. Wie hoch die Chancen von Beschwerdeführern vor Gericht sind, ist kaum zu prognostizieren.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Zahlen steigen unaufhörlich, und das gilt nicht nur für die Infektionen. Täglich kommen neue Gerichtsbeschlüsse rund um Corona hinzu, die ziemlich aktuelle Aufstellung der Kanzlei "ETL Rechtsanwälte" ist bei Ziffer 239 angelangt. Ob der Kraftakt der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten die Infektionsrate senkt, ist noch offen, aber der Anstieg der Klagekurve ist absehbar. Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, hat juristische Mittel nicht ausgeschlossen. Jedenfalls dann, wenn die versprochenen Entschädigungen nicht den Erwartungen entsprechen.

Was also droht den Ländern bei der Umsetzung der Beschlüsse? In den Staatskanzleien ist man nach dem Debakel mit den Beherbergungsverboten nervös geworden. Reihenweise wurden sie gekippt. Nun aber drohen noch härtere Reiseeinschränkungen. Wie werden die Gerichte reagieren? Was werden sie zu den Klagen der Wirte sagen, die nun schließen müssen, wo sich doch bereits eine Berliner 23-Uhr-Sperrstunde als rechtswidrig erwiesen hat?

Prognosen sind hier kaum möglich, denkbar ist, dass es ein wenig hin- und hergeht zwischen richterlicher Zurückhaltung und strikter Kontrolle. Aber auch wenn es paradox erscheint: Der breitflächige Ansatz zur Corona-Bekämpfung, auf den Bund und Länder sich verständigt haben, könnte vor Gericht leichter zu verteidigen sein als die isolierten, schlecht begründeten Beherbergungsverbote.

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Denn wer die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel verfolgt hat und die Erläuterungen des auf allen Kanälen sendenden Kanzleramtsministers Helge Braun, der kann zweierlei erkennen: ein klar umrissenes Ziel und ein Gesamtkonzept. So etwas wissen Richter zu schätzen, das macht es ihnen leichter, auf die "Einschätzungsprärogative" von Regierung oder Parlament zu verweisen. Also darauf, dass die Justiz nicht den Job der Politik übernehmen und selbst entscheiden kann, wie man das Virus am besten bekämpft.

Als Ziel hat Merkel die Rückgewinnung der Kontrolle ausgegeben. Weil 75 Prozent der Infektionen nicht mehr zurückverfolgt werden könnten, seien die Gesundheitsämter nicht mehr in der Lage, die Ansteckungswege nachzuzeichnen. Nur mit einer "systematischen Reduzierung der Kontakte" könne man die Zahlen so senken, dass die Nachverfolgung möglich sei. Ein solches Ziel ist ungleich präziser als der sonst gern erwähnte Schutz von Leben und Gesundheit - ein Argument, das stets im Verdacht steht, jedes Gegenargument von vornherein entkräften zu wollen.

Die Zahl 75 könnte den Regierungen noch in einem weiteren Punkt helfen. Er markiert gleichsam die Rückkehr der Unwissenheit, die zu Beginn der Pandemie zu einer großen Zurückhaltung der Justiz geführt hatte. Wenn man bei drei Viertel der Infizierten nicht ermitteln kann, wie das Virus zu ihnen gelangte, dann heißt das: Eigentlich weiß man nicht wirklich, wie sicher das Theater, das Gasthaus oder das Spaßbad ist. Wenn also Gastronomen und Veranstalter behaupten, sie seien jedenfalls nicht die Pandemietreiber, dann haben die Regierungen ein Gegenargument. Es lautet: 16 774. So viele Neuinfizierte zählte man zuletzt, trotz der Hygienekonzepte. Irgendwoher müssen sie gekommen sein.

Trotzdem wird man nicht der Frage entgehen, warum zum Beispiel ausgerechnet die Kunsthalle schließen musste, in der man sich einsam und maskiert Stillleben anschauen kann. Aber hier kommt ein weiteres Stichwort ins Spiel - die Priorisierung. Weil nun, da das Virus sich immer gleichmäßiger in der Bevölkerung verteilt, nicht mehr allein nach Hotspots gesucht werden kann, muss man eben irgendwo anfangen. Dass die Politik der Bevölkerung den Verzicht auf Freizeitaktivitäten zumutet, um Schulen und Kitas, Wirtschaft und Handel zu schützen, ist eine plausible Einschätzung, der sich die Gerichte kaum werden entziehen können.

Im Detail lässt das zwar immer noch Raum für richterliche Interventionen, zumal wegen der Privilegierung des Einzelhandels. Warum Läden für Markenjeans oder Bastelbedarf offen bleiben dürfen, Stadtteiltheater aber nicht, dürfte schwierige Fragen der Gleichbehandlung aufwerfen, weil es hier wie dort um Existenzen geht. Da könnten die versprochenen Entschädigungen spielentscheidend werden.

Dass aber die Gastronomen vor Gericht eine Chance haben, ist nicht so wahrscheinlich. Das Verwaltungsgericht München hat vor wenigen Tagen den Eilantrag eines Wirtes gegen Schließungen im Landkreis Berchtesgadener Land abgelehnt. Das Virus habe sich derart breitflächtig verteilt, da verhindere das beste Hygienekonzept nicht, dass maskenlos speisende Gäste sich anstecken. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag dort bei über 250. Zieht man die bundesweiten Anstiegskurven weiter, dann ist das für viele Regionen die nahe Zukunft.

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