Corona:Kritik an Beherbergungsverboten

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Weitere Großstädte überschreiten den kritischen Wert von 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner, darunter Köln und Stuttgart. Reiseeinschränkungen stoßen zunehmend auf Unverständnis

Von Claudia Henzler, Henrike Roßbach und Jens Schneider, Berlin/Stuttgart

In Deutschland melden immer mehr Städte hohe Corona-Infektionsraten. Seit dem Wochenende gelten weitere Metropolen wie Stuttgart, Köln oder Essen als Hotspots, weil dort die Warnstufe von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen überschritten wurde. Zuvor war die Infektionsrate bereits in Großstädten wie Berlin, Frankfurt am Main und Bremen über die Marke gestiegen. München liegt knapp darunter.

In vielen Bundesländern gelten Beherbergungsverbote für Reisende aus betroffenen Orten, die zunehmend auf Kritik stoßen. So sieht der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die innerdeutschen Beherbergungsverbote äußerst kritisch. "Da wurde ein Fehler gemacht, das müsste abgeräumt werden", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Keine Studie zeigt, dass das Reisen innerhalb Deutschlands ein Pandemietreiber ist. Ich löse mit diesen Regeln also kein Problem, weil es da kein Problem gibt." Die Grenze von 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner werde ohnehin "in sehr kurzer Zeit" an sehr vielen Orten überschritten werden.

Auch ließen sich die Regelungen nicht kontrollieren, sie hätten teilweise absurde Konsequenzen. "Warum gibt es Ausnahmen für Abgeordnete? Warum darf jemand aus einem Risikogebiet zwei Wochen in einem anderen Bundesland arbeiten, ein anderer aber nicht drei Tage übernachten?" Vieles wirke "willkürlich", so Lauterbach. "Wenn man Regeln wie diese trotzdem aufrechterhält, verliert man die Unterstützung der Bevölkerung für Regeln, die sinnvoll und wichtig sind."

Maskierte Passanten in der Kölner Fußgängerzone. Die Stadt überschritt am Wochenende die Marke von 50 Neuinfektionen je 100000 Einwohner. (Foto: Roberto Pfeil/dpa)

Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) äußerte Zweifel an den Beherbergungsverboten. "Wenn ganz viele Orte in Deutschland Risikogebiete sind, ist die Frage, wer darf von wo nach wo reisen, eigentlich eine zweitrangige", sagte er. Weil Reisende mit negativen Tests akzeptiert werden, gibt es zu Beginn der Herbstferien einen Ansturm auf Testzentren. Wer sich deshalb testen lasse, "nimmt Testkapazitäten in Anspruch, die wir eigentlich für andere Bereiche brauchen", sagte Laschet. Er appellierte, Reisen in den Herbstferien zu unterlassen.

Am Beispiel der sechstgrößten deutschen Stadt Stuttgart zeigt sich derweil, dass die Verbreitung des Virus zunehmend schwerer nachzuverfolgen ist. Stefan Ehehalt, der Leiter des städtischen Gesundheitsamtes, spricht von einer "relativ diffusen Ausbreitung". Private Zusammenkünfte spielten bei den Ansteckungen eine immer größere Rolle. "Diese Entwicklung ist sehr besorgniserregend", sagte Ehehalt. Im Vergleich zum Frühjahr sei das Gesundheitsamt auffällig oft mit Infizierten konfrontiert, die sehr viele Sozialkontakte haben. Immer häufiger sei nicht zu erkennen, wo sich jemand angesteckt habe. Die Stadt will Unterstützung bei der Bundeswehr für das Gesundheitsamt anfordern.

Auf die städtischen Kliniken in Stuttgart schlägt der Anstieg noch nicht in vollem Umfang durch. Dort seien in den vergangenen Wochen vor allem Reiserückkehrer behandelt worden und Menschen, die sich bei privaten Feiern infiziert hätten, sagt Jan Steffen Jürgensen, Leiter der städtischen Kliniken. Die Zahl der Todesfälle sei gering. Trotzdem hält auch er die Lage für "alarmierend", weil sich das Virus relativ schnell und diffus ausbreite. "Wenn man gegensteuert in dem Moment, wo die Todesfälle steigen, ist man spät dran."

Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, mahnte: "Es sind jetzt entscheidende Tage!" Die Lage sei ernster, "als diejenigen glauben, die sich nicht an die Schutzmaßnahmen halten", sagte die SPD-Politikerin. Die Gesundheitsämter in ihrem Land führten den starken Anstieg weitgehend auf große Familienfeiern zurück, wie Hochzeiten oder Partys. Man wolle "vor Ort passgenaue Maßnahmen erarbeiten, um die Ansteckung zu stoppen".

Angesichts des Anstiegs drängt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder auf bundesweit einheitliche schärfere Strafen bei Verstößen gegen Corona-Regeln. So forderte der CSU-Chef für Verstöße gegen die Maskenpflicht Bußgelder von 250 Euro, dieser Regelsatz gilt in Bayern bereits. Man dürfe die Lage nicht länger schönreden, sagte er der Bild am Sonntag.

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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