Corona-Krise:Die Wirtschaft wird ungeduldig

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Nach fast zwei Monaten Shutdown und Milliardenverlusten fordern Verbandschefs und Ökonomen, die Beschränkungen zu lockern. Ein Stufenplan sei nötig, um die Zukunft nicht zu gefährden.

Von Michael Bauchmüller und Lisa Schnell, Berlin/München

Was wiegt schwerer: Die Gefahr für Menschenleben oder die für Arbeitsplätze und Wachstum? Wenige Tage vor einem neuerlichen Spitzengespräch von Bund und Ländern flammt diese Frage wieder auf. Wie lange will, wie lange kann sich Deutschland den Stillstand in Teilen der Wirtschaft leisten? Oder, andersherum: Wann kann sich das Land die Rückkehr zur Normalität erlauben?

"Nach bald zwei Monaten Shutdown muss wirtschaftliche Tätigkeit wieder die Regel werden - und nicht Stillstand", sagt etwa Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Nötig seien "klare Kriterien und pragmatische Entscheidungen", gerade auch mit Blick auf den Gesundheitsschutz. "Jetzt kommt es vor allem darauf an, dass wir auf der Basis verlässlicher Daten und Termine agieren", sagte Schweitzer der Süddeutschen Zeitung.

Verlässlichkeit, Klarheit, das verlangen nun viele in der Wirtschaft - und auch Ökonomen. "Erforderlich ist nicht notwendigerweise ein schneller Exit", sagt Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts. "Aber ein überzeugender Plan dafür." Dazu gehöre vor allem flächendeckendes Testen. "Wir wissen bis heute nicht, welcher Teil der Bevölkerung infiziert ist oder war", sagt Fuest. Auch Carsten Linnemann, Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der Union, dringt auf eine Strategie. "Was Deutschlands Wirtschaft jetzt braucht, ist ein Stufenplan für alle Branchen mit klarer Perspektive", sagte er der SZ. Nötig seien "klare Abstands- und Hygieneregeln, die für jeden nachvollziehbar sind". Vorgaben, nach denen Quadratmeter darüber entscheiden, ob Geschäfte öffnen dürfen, zählten dazu allerdings nicht, so Linnemann.

Die Ungeduld in der Wirtschaft wächst. Schon nach dem Treffen am Mittwoch müsse klar sein, "in welchen Stufen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder anlaufen soll", verlangte BDI-Präsident Dieter Kempf in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Jede Woche eines Shutdowns kostet die deutsche Volkswirtschaft einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag an Wertschöpfung." Harscher noch machte sich am Wochenende der Bundesverband mittelständische Wirtschaft bemerkbar. In einem offenen Brief an Kanzlerin und Länderchefs verlangte er eine rasche Aufhebung der Einschränkungen. "Beenden Sie die einseitige Fixierung auf eine rein virologische Sichtweise und damit das gefährliche Spiel mit den Zukunftschancen dieses Landes", schrieb der Verband. "Heben Sie den Lockdown auf, bevor es zu spät ist."

Zuletzt hatten sich die Hiobsbotschaften gehäuft. So viel Kurzarbeit wie nie, ein Konjunktureinbruch wie nie, weltweite Reisewarnungen, unterbrochene Wertschöpfungsketten. "Angesichts des massiven Konjunktureinbruchs kann die Bundesregierung eine Öffnungsstrategie nicht länger aufschieben", sagt auch FDP-Fraktionsvize Michael Theurer. Schon am Mittwoch müssten Bund und Länder "einen konkreten Lockerungsplan" vorlegen. Nach der letzten Runde von Bund und Ländern in der vorigen Woche hatte Kanzlerin Angela Merkel Hoffnungen auf eine rasche Lockerung gedämpft. Auch den Interessen der Wirtschaft sei am ehesten gedient, "wenn wir einen Blick darauf werfen, dass wir bei der Zulassung von mehr Kontakten Schritte vorangehen können, aber nicht mehr zurückgehen müssen". Sprich: Einer Lockerung soll keine neue Verschärfung folgen müssen, weil sich das Virus der gelockerten Regeln wegen wieder stärker ausbreiten konnte. Auch Ökonomen warnen eindringlich vor einer solchen Go-and-stop-Strategie: Die Folgen für die Wirtschaft könnten gravierender sein als bei einer etwas späteren, aber dafür dauerhaften Öffnung.

Unterdessen bahnt sich ein Streit über die Öffnung der Grenzen zwischen Österreich und Deutschland an. Während der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz es für möglich hält, die Grenzen zu Deutschland "in absehbarer Zeit" zu öffnen, hat sich Innenminister Horst Seehofer (CSU) gegen eine vorschnelle Wiederaufnahme des Reisebetriebs ausgesprochen. "Solange das Virus keinen Urlaub macht, müssen auch wir uns mit unseren Reiseplänen beschränken", sagte Seehofer der Bild am Sonntag. Alleine der Infektionsschutz gebe den Zeitplan vor.

Bayerns Wirtschaft verlangt eine rasche Einigung zwischen den Grenzländern. "Österreich und Bayern sollten sich da gut absprechen, wenn die Sicherheitslage es erlaubt, um zu einer abgestimmten Lösung zu kommen", sagte Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, der SZ. Gastronomen etwa, die vielleicht neidisch über die Grenze nach Österreich schauen, wo manche Konkurrenten demnächst schon wieder arbeiten dürfen, ruft er zur Geduld auf. "Ich mahne da bei uns zur Ruhe." Am Dienstag will Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einer Kabinettssitzung weitere Lockerungskonzepte vorstellen.

© SZ vom 04.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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