Corona:Kleiner Stich, große Botschaft

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US-Vizepräsident Mike Pence lässt sich impfen. (Foto: Andrew Harnik/AP)

Immer mehr prominente Politiker lassen sich nun öffentlichkeitswirksam impfen - wie Mike Pence und Benjamin Netanjahu. Doch es gibt auch Staatschefs, die lieber die Impfskepsis befeuern.

Von Alan Cassidy, Christoph Gurk und Peter Münch, Washington, Tel Aviv, Buenos Aires

Er krempelte den Ärmel seines Kurzarmhemdes hoch, das er extra für diesen Termin angezogen hatte, er versuchte, nicht zu blinzeln - und dann war es schon vorbei. US-Vizepräsident Mike Pence hat sich am Freitagmorgen ins Walter-Reed-Krankenhaus außerhalb von Washington fahren lassen, dorthin, wo Donald Trump im Herbst nach seiner Covid-19-Erkrankung behandelt worden war.

Pence setzte sich vor laufenden TV-Kameras auf einen Stuhl, neben ihm seine Frau Karen, und beantwortete einige Fragen eines Arztes nach seinem Gesundheitszustand. Um Punkt acht Uhr früh erhielt er die Impfung gegen das Coronavirus verabreicht, mit einem Stich in den linken Oberarm. "Ich habe gar nichts gespürt", sagte er. Pence ist der erste ranghohe US-Politiker, der sich öffentlich hat impfen lassen.

Und nächste Woche lässt sich Biden impfen

Nächste Woche will es ihm der designierte Präsident Joe Biden gleichtun. Auch die früheren Präsidenten Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama haben angekündigt, sich bei der Impfung filmen zu lassen, um Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen. Ob und wann Donald Trump sich impfen lässt und ob er dies auch öffentlich tut, ist nicht klar.

Der amtierende Präsident hat sich zuletzt kaum mehr zur Pandemie geäußert und auch zu den rekordhohen Todeszahlen geschwiegen. Wenige Minuten nach dem Auftritt von Pence verbreitete Trump einen Tweet eines konservativen Kommentators, der den Nutzen von Gesichtsmasken in Zweifel zog.

Pence spricht von einem Wunder

In den USA hat die Impfung von Gesundheitspersonal und Angehörigen von Risikogruppen schon Anfang dieser Woche begonnen. Dass man in so kurzer Zeit einen Impfstoff gefunden habe, sei "ein medizinisches Wunder", sagte Pence. Mit "Wachsamkeit und dem Vakzin" würden die Amerikaner durch die Pandemie kommen, so der Vizepräsident.

Die Trump-Regierung selbst gibt allerdings, was ihre eigene Wachsamkeit angeht, weiterhin ein seltsames Bild ab: Das Weiße Haus und das Außenministerium hielten zuletzt mehrere größere Weihnachtsfeiern ab, bei denen sich die Gäste ohne Masken in geschlossenen Räumen aufhielten.

Netanjahus doppelte Botschaft

Nicht nur in den USA lassen sich Top-Politiker nun öffentlichkeitswirksam impfen: Am Samstagabend um 20 Uhr, pünktlich zum Ende des Sabbats und zum Beginn der Abendnachrichten im TV, werden in Israel alle Augen und alle Kameras auf Benjamin Netanjahu gerichtet sein. In einer Live-Übertragung aus dem Tel-Hashomer-Krankenhaus in der Nähe von Tel Aviv wird er sich als Erster in Israel gegen das Coronavirus impfen lassen.

Es ist ein kleiner Stich für ihn und eine große und gleich doppelte Botschaft an sein Volk: Erstens will der Regierungschef ein vorbildhaftes Zeichen gegen Impfängste setzen. Und zweitens will er den Bürgern zeigen, dass er allein sie aus dem Tal der Tränen hinausführt ins postpandemische Leben.

"Tag und Nacht", so wird Netanjahu nicht müde zu versichern, habe er daran gearbeitet, dass Israel den Impfstoff schnell und in großen Mengen bekommt. Tatsächlich soll nun alles sehr zügig gehen: 60 000 bis 80 000 Menschen sollen pro Tag geimpft werden. Bestellt hat Israel bei den Anbietern Pfizer, Moderna und AstraZeneca insgesamt 24 Millionen Impfdosen. Das reicht für zwölf Millionen Menschen - bei einer Bevölkerung von neun Millionen.

Er will Tatkraft demonstrieren

Für die Überkapazitäten wird sich schon eine Verwendung finden, zum Beispiel würden sich die gesundheitspolitisch abgehängten Palästinenser im besetzten Westjordanland oder im Gazastreifen gewiss über eine Geste im Kampf gegen den gemeinsamen Feind freuen. Doch mit seiner Impf-Offensive will Netanjahu vor allem Tatkraft demonstrieren, die ihm ansonsten bei den Anti-Corona-Maßnahmen nicht immer zu eigen war.

Die Pandemie-Politik war vielmehr bislang von großer Sprunghaftigkeit geprägt, die allzu oft dem Primat parteipolitischer beziehungsweise persönlicher Interessen gegenüber der Gesundheitspolitik geschuldet ist. Erst vorige Woche waren wieder strengere Maßnahmen wie eine nächtliche Ausgangssperre verkündet und dann sogleich zurückgenommen worden. Nun hebt gerade die dritte Welle mächtig an in Israel, und am Sonntag soll das zuständige Corona-Kabinett erneut über einen Teil-Lockdown beraten. Doch zuvor kommt noch als Zeichen der Hoffnung die Impf-Show am Samstagabend.

Bolsonaro schimpft gegen die Richter

Und während in Israel die Spitzen der Regierung nun ein gutes Beispiel für das Impfen abgeben wollen, geht Brasiliens Präsident einen anderen Weg. Der Oberste Gerichtshof des Landes hat am Donnerstag in einem Urteil den Behörden erlaubt, Sanktionen gegen Impfverweigerer zu verhängen. Präsident Jair Bolsonaro kritisierte die Entscheidung scharf. Der Staatschef von Südamerikas größtem Land hat die Pandemie stets kleingeredet und wiederholt angekündigt, er werde sich nicht impfen lassen.

Brasilien war eines der Länder, das bisher am härtesten von dem Erreger getroffen wurde. Nun überrollt das Land eine zweite Welle. Allein am Mittwoch und am Donnerstag wurden Zahlen von jeweils fast 70 000 Neuinfektionen registriert. Der mögliche Erfolg einer Impfkampagne droht gleichzeitig in politischen Grabenkämpfen zu versinken.

Die Infrastruktur wäre vorhanden

Dabei wäre Brasilien grundsätzlich gut gerüstet: Bereits in der Vergangenheit hat das Land immer wieder große Massenimmunisierungen erfolgreich durchgeführt. Die dahingehende Infrastruktur ist gut, das Land verfügt sogar über eigene Produktionskapazitäten. So stellt der Bundesstaat São Paulo bereits dank einer Kooperation mit dem chinesischen Hersteller Sinovac dessen Impfstoff Coronavac selbst her.

Jair Bolsonaro stört sich aber an diesen Erfolgen. Er und seine Regierung haben auf den Impfstoff von AstraZeneca gesetzt. Der Gouverneur von São Paulo ist dazu auch noch einer der größten politischen Konkurrenten des brasilianischen Präsidenten. Und so präsentierte Bolsonaro Anfang dieser Woche zwar einen offiziellen Plan zur Massenimmunisierung; dessen Start aber ist noch offen. Gleichzeitig schürt der Präsident öffentlich Zweifel an den Impfstoffen. So betonte er bereits mehrmals, dass die Hersteller keine Haftung für Nebenwirkungen übernehmen würden. Etwa ein Viertel der Brasilianer gaben bei jüngsten Umfragen an, sich nicht impfen lassen zu wollen.

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