Impfen in Deutschland:Hoffen auf die Hausärzte

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"Wir wollen, dass deutsche Gründlichkeit durch mehr deutsche Flexibilität ergänzt wird", sagt Kanzlerin Merkel. (Foto: imago images/Christian Thiel)

Um die Corona-Impfungen zu beschleunigen, wollen Bund und Länder Arztpraxen schon unmittelbar nach Ostern einbeziehen. Doch die dritte Welle beginnt bereits. Kanzlerin Merkel will die Notbremse ziehen. Und die Hausärzte schießen zurück.

Von Nico Fried, Berlin

Eine dritte Welle der Corona-Pandemie vor Augen, wollen Bund und Länder das Impfen in Deutschland beschleunigen. Dafür sollen die Hausärzte unmittelbar nach Ostern mit einer Mindestmenge von einer Million Dosen pro Woche in die Impfkampagne eingebunden werden. Darauf verständigten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder am Freitag in einer Telefonkonferenz. "Wir wollen, dass deutsche Gründlichkeit durch mehr deutsche Flexibilität ergänzt wird", sagte Merkel. Trotz der Lieferengpässe bei der Firma Astra Zeneca und der zeitweiligen Aussetzung des Impfens mit diesem Wirkstoff halten Bund und Länder an dem Ziel fest, im Sommer jedem Bürger ein Impfangebot zu machen.

Die Reihenfolge bei den Impfungen soll zunächst eingehalten werden. Im April würden die Impfstoffmengen "noch knapp" sein, heißt es in einem Beschlusspapier. "Daher bleibt es notwendig, zunächst die besonders gefährdeten Personen entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission zur Impfreihenfolge zu impfen." Allerdings soll den Arztpraxen eine gewisse Flexibilität zum Beispiel im Umgang mit Restdosen ermöglicht werden, sagte Merkel. Das Saarland und Rheinland-Pfalz sowie Bayern, Sachsen und Thüringen sollen wegen der Grenznähe zu Nachbarstaaten mit hohen Fallzahlen zusätzliche Dosen erhalten. Von diesem Sonntag an stuft das Auswärtige Amt auch Polen als Hochinzidenzgebiet ein.

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Merkel räumte ein, dass die einzelnen Mengen von wöchentlich jeweils 20 Dosen für jede der insgesamt etwa 50 000 Hausarztpraxen in Deutschland zunächst "recht gering sein werden". Natürlich könnten die Arztpraxen sehr viel mehr impfen, "das wollen sie auch", sagte sie. Damit sei aber erst später zu rechnen. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, hält die Beschlüsse für unzureichend. "Die Praxen dürfen nicht zur Resterampe werden, wenn bei den Impfzentren was übrig ist", sagte Weigeldt der Bild. "Wir Hausärzte sind rund 50 000 kleine Impfzentren, die bisher einfach außen vor gelassen wurden. Die Impfzentren arbeiten seit Dezember, ich seit 1983."

Die Beschleunigung der Impfkampagne wird laut Bundesregierung nicht ausreichen, um die deutliche Zunahme der Infektionszahlen zu bremsen. "Es gibt in Europa noch nicht genug Impfstoff, um die dritte Welle alleine mit Impfen zu stoppen", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn.

"Uns stehen leider wieder schwere Wochen bevor"

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) stieg die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen am Freitag auf 17 482, die bundesweite Inzidenz stieg auf 95,6. RKI-Vizepräsident Lars Schaade sagte, der Anstieg sei "nun ganz deutlich exponentiell". Am stärksten betroffen seien Menschen zwischen 15 und 49 Jahren. Seit zwei Wochen sinke auch die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen nicht mehr. "Uns stehen leider wieder schwere Wochen bevor", sagte Schaade. Da an Ostern eine "ähnliche Lage wie an Weihnachten" zu erwarten sei, appellierte er an die Bürger, auf Reisen zu verzichten und Ostern "im engsten Kreis zu feiern".

Auch Merkel sagte, die Situation entwickle sich "sehr schwierig". Am Montag wollen die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten über weitere Maßnahmen in einer Videokonferenz beraten. Die Kanzlerin äußerte aber bereits jetzt die Erwartung, man werde "leider auch von der Notbremse Gebrauch machen müssen". Bund und Länder hatten zuletzt vereinbart, dass Lockerungen zurückgenommen werden müssen, wenn der Inzidenzwert die Höhe von 100 Infektionen pro Woche bei 100 000 Personen übersteigt.

Um schneller an mehr Impfstoff zu kommen, können sich Merkel und Spahn auch einen Alleingang Deutschlands bei der Bestellung des russischen Vakzins Sputnik V vorstellen. Dafür müsse man aber zunächst wissen, welche Mengen nach einer Zulassung zu welchem Zeitpunkt zur Verfügung stünden. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach brachte eine Notfallzulassung für den Impfstoff des deutschen Herstellers Curevac ins Spiel. Der Wirkmechanismus sei ähnlich wie bei den Impfstoffen von Biontech und Moderna. Daraus könne man Kenntnisse ableiten, die eine Verkürzung des Zulassungsverfahrens ermöglichten.

Angesichts stark steigender Fallzahlen könnte es schon kommenden Montag zur Rücknahme von Lockerungen des öffentlichen Lebens kommen. Auf die Frage, ob dabei die Inzidenz von 100 Bestand haben werde, bei der die sogenannte Notbremse der Lockerungen ausgelöst wird, sagte Spahn: "Aus meiner Sicht: mindestens." Die steigenden Infektionszahlen könnten bedeuten, dass es vielleicht keine weiteren Öffnungsschritte geben könne, sondern "sogar Schritte rückwärts" nötig seien. Lauterbach forderte eine schnelle Rückkehr zu Beschränkungen. "Man kann es drehen und wenden, wie man will, wir müssen zurück in den Lockdown", sagte er in einer Pressekonferenz mit Spahn. "Je früher man reagiert, desto besser ist es, desto kürzer ist der Lockdown."

Laut Spahn geht es weiter darum, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. Lauterbach wies darauf hin, dass bei einer Zunahme jüngerer Patienten die Gefahr einer Überfüllung der Intensivstationen größer sei, weil diese "sehr viel länger intensivmedizinisch behandelt werden müssen". Das Durchschnittsalter liege jetzt bei 60 Jahren. "Das sind keine Menschen, die auf einer Intensivstation schnell sterben", so Lauterbach.

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