China:Seifenoper-Politik

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Der koreanische Schauspieler Song Joong Ki, hier mit seiner Kollegin Song Hye Kyo, hat in China viele Fans, außer bei der Polizei. (Foto: Jung Yeon-Je/AFP)

Peking bestraft Südkoreas Pop- und TV-Stars dafür, dass Seoul einen Raketenschutzschild errichten will. Dabei lieben die Chinesen K-Pop.

Von Tobias Matern, Kai Strittmatter, Peking

Lange hat Südkorea gezögert, letzten Monat dann entschieden: Das Land bekommt einen Raketenschutzschild. Ein paar Wochen später nun ist klar, wen der Schild schon einmal nicht schützt: Die TV-Stars und Popsternchen des Landes sind mit einem Mal zum Abschuss freigegeben. Chinas Regierung nämlich ist hocherzürnt über die geplante Stationierung des amerikanischen THAAD-Raketenabwehrsystems auf koreanischem Boden: Sie scherte deshalb nicht nur diese Woche im UN-Sicherheitsrat aus der Allianz gegen Nordkoreas jüngsten Nukleartest aus. Sie nimmt mit einem Mal all jene Stars aus Südkorea ins Visier, die Koreas erfolgreichster Exportartikel des vergangenen Jahrzehnts sind - und die bislang nirgends inniger geliebt wurden als in China.

Peking mag zwar der letzte Alliierte des nordkoreanischen Regimes sein, aber im gleichen Maße wie das Verhältnis zum Regime unter Diktator Kim Jong Un abkühlte, hatten sich in den vergangenen Jahren die Beziehungen zwischen Peking und Seoul erwärmt. Der Vormarsch der südkoreanischen Popkultur in chinesische Wohn- und Kinderzimmer war ohnehin schon viele Jahre im Gang. Nun will Peking offenbar die Bremse anziehen. Erstes Zeichen dafür, dass Chinas Regierung Vergeltung für den neuen Raketenschirm auch auf dem Feld der Kultur suchen würde, kamen vergangene Woche: Den Anfang machte eine Anweisung der Rundfunkbehörde, in Zukunft keine südkoreanischen Stars mehr in chinesische TV- und Radioshows einzuladen. Dann wurden PR-Auftritte von K-Pop-Bands gestrichen. Einem koreanischen Schauspieler wurde das Visum für die Premiere seines Films verwehrt, einen anderen - Song Joong Ki - warf der chinesische Smartphone-Hersteller Vivo soeben aus seinem Werbevertrag.

Moskau sieht eine Provokation: Das Abwehrsystem sei gegen Russland und China gerichtet

Vielleicht steht im Moment keiner so für die Koreabegeisterung der Chinesen wie eben dieser Song Joong Ki, ein Schauspieler von solchem Effekt auf Frauenherzen, dass Chinas Polizei sich im Frühjahr schon einmal genötigt sah, vor dem Mann zu warnen. Song Joong Ki ist nur einer von vielen Stars, die auf der "Koreawelle" schwimmen (Hallyu auf Koreanisch): Sie überrollt seit Jahren ganz Ostasien mit Filmen, Fernsehsoaps und Musik, und war nirgendwo so erfolgreich wie in China. Chinas Publikum ist an dröge heimische Serien, die für gewöhnlich hölzerne Schauspieler und miserable Drehbücher mit einem Schuss Propaganda vereinen. Deshalb ist die Begeisterung groß für Koreas TV-Soaps, wo die Schauspieler schöner, die Kleider eleganter und die Dialoge lange nicht so affektiert daherkommen. Wo man sich wiederfinden kann in konfuzianisch geprägten Großfamilien und hemmungslosem Materialismus, und gleichzeitig verlieren darf in Aschenputtelgeschichten, wo meist der reiche Jüngling die scheue Schönheit aus ihrem Mittelklassedasein erlöst. Selbst Wang Qishan, Chinas oberster Korruptionsjäger, outete sich vor zwei Jahren als Fan: "Das Herz und der Geist der koreanischen Serien sind die Essenz chinesischer Kultur", sagte er damals. Da konnte er noch nicht ahnen, dass die Begeisterung mit der Serie "Nachkommen der Sonne" noch einmal auf neue Höhen klettern würde. Jene Serie ist das, in der Schauspieler Song Joong Ki mit einer solchen Verve die Herzen bricht, dass Chinas Polizeiministerium im März diesen Jahres auf ihren Weibo-Mikroblog eine Warnung stellte an alle, die sich "in den männlichen Hauptdarsteller verlieben". Koreanische Soaps zu schauen, könne "gefährlich sein und sogar zu Konflikten mit dem Gesetz führen." Begleitet wurde die Warnung mit abschreckenden Beispielen: Paare, die sich deshalb hatten scheiden lassen; ein Ehemann, der sich das Gesicht operieren ließ, bloß um seine den schönen Koreanern verfallene Ehefrau zurückzugewinnen.

Das Ganze läuft beileibe nicht bloß unter Kulturaustausch. Die Hallyu-Exporte sind eine Industrie, die Südkorea im vergangenen Jahr nach Angaben der Regierung 2,86 Milliarden Dollar einbrachte. 13,4 Prozent mehr noch als im Jahr zuvor - während Südkoreas Exporte insgesamt im gleichen Zeitraum um 20 Prozent sanken. Südkoreanische Kosmetika, der Tourismus, die kosmetische Chirurgie in Seoul, all das boomte. Kein Wunder, dass die Aktienkurse südkoreanischer Unterhaltungs- und Konsumgüterfirmen vergangene Woche einbrachen.

Kaum anzunehmen allerdings, dass die Regierung in Seoul sich deshalb von den Plänen für die Raktenabwehr abbringen lässt. Die USA und Südkorea vertreten die Auffassung, dass die Raketenabwehr rein defensiver Natur ist und sich ausschließlich gegen Nordkorea richtet. "Nordkoreas fortlaufende Entwicklung ballistischer Raketen und von Massenvernichtungswaffen" erforderten diesen Schritt, sagte Vincent Brooks, Kommandeur der US-Truppen in Südkorea.

Ende 2017 soll THAAD (Terminal High Altitude Area Defense) in Südkorea zum Einsatz kommen. Es gilt als eines der weltweit präzisesten Systeme zur Raketenabwehr. Der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin, der es entwickelt hat, verspricht eine 100-prozentige Erfolgsquote beim Abfangen von Kurz- und Mittelstreckenraketen. THAAD ist nach Herstellerangaben vor allem geeignet, Wohngebiete und kritische Infrastruktur zu schützen - Südkoreas Hauptstadt Seoul liegt 50 Kilometer entfernt von der Grenze zu Nordkorea.

Auch aus Moskau kommt massive Kritik - Russland hatte sich bereits an der Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Osteuropa gestört. Nun sagt Moskau, dass durch das THAAD System die geopolitische Machtbalance erneut verschoben werde. Alexander Vorontsov von der Russischen Akademie der Wissenschaften sieht eine gezielte amerikanische Provokation, die vor allem gegen China und Russland gerichtet sei. In einem Interview mit dem chinesischen Auslandsrundfunk CRI sagte er, die technischen Möglichkeiten von THAAD reichten weit über die Verteidigung Südkoreas vor einer nordkoreanischen Gefahr hinaus. Es bringe die "Balance globaler militärischer Macht" durcheinander. Jonathan Pollack von der amerikanischen Brookings Institution kommt zu einem gänzlich anderen Urteil: Das THAAD-System reiche keinesfalls aus, um im Ernstfall auf russische und chinesische Raketen reagieren zu können.

Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua warnte am Freitag vor einem "Rüstungswettlauf" in Nordostasien. Südkorea könne sich darauf einstellen, dass "Chinas Konsumenten und Touristen das Land und seine Produkte in Zukunft meiden" würden. So richtig angekommen ist die Botschaft allerdings noch nicht. "So etwas wie 'Nachkommen der Sonne' kriegt unser Staatssender doch nie hin", sagte eine 42-jährige Pekinger Universitätsdozentin, die im Frühjahr für eine Shopping-Woche Seoul besucht hatte. "Klar schauen wir das weiter an."

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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