China: Ai Weiwei:"Wer in einer Diktatur lebt, muss sich wehren"

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Der Künstler Ai Weiwei ist von einem Polizisten in China zusammengeschlagen worden. In Deutschland entdeckten Ärzte bei ihm als Folge der Schläge eine lebensgefährliche Gehirnblutung. Ein Gespräch über Willkür, Machtmissbrauch und Unterdrückung.

H. Bork

Der Architekt und Künstler Ai Weiwei ist von einem Polizisten in China zusammengeschlagen worden. Jetzt, bei einem Besuch in Deutschland, entdeckten die Ärzte bei ihm als Folge der Schläge eine lebensgefährliche Gehirnblutung. Am zweiten Tag nach der Operation empfing Ai Weiwei den exsklusiv den China-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung. Die beiden führten ein Gespräch über Willkür, Machtmissbrauch und Unterdrückung.

SZ: Wie geht es Ihnen? Haben Sie die Operation gut überstanden?

Ai Weiwei: Es geht mir gut. Ich glaube, ich bin jetzt außer Lebensgefahr. Der Arzt hat vor einer halben Stunde die Schläuche entfernt.

SZ: Sie schwebten in Lebensgefahr?

Ai: Ja. Vor der Operation sagte mir der Arzt: "Wenn Sie nicht gekommen wären, dann hätten Sie Ihre nächste Ausstellung vielleicht nicht mehr erlebt." Er musste mir zwei Löcher in die Schädeldecke bohren, um rund 100 Milliliter Blut und Flüssigkeit abzulassen.

SZ: Wie ist es zu der Gehirnblutung gekommen?

Ai: Ich war am 12. August nach Chengdu gefahren, um als Zeuge für Tan Zuoren auszusagen, der auch die Wahrheit über die vielen toten Schulkinder in Sichuan herausfinden wollte. Ich hatte das Gefühl, ihm helfen zu müssen, als sie ihn einsperren wollten. An jenem Abend bin ich von einem Polizisten geschlagen worden.

SZ: Es war definitiv ein Polizist, der Sie geschlagen hat?

Ai: Ja, es war ein Polizist von der Polizeistation "Xi-An-Lu" in Chengdu. Er trug Uniform.

SZ: Warum hat er Sie geschlagen?

Ai: Sie hatten vor allem das Ziel, mich nicht in dem Prozess als Zeuge aussagen zu lassen. Sie klopften nachts um drei im Hotel an meine Zimmertür und riefen "Polizei". Ich verlangte einen Dienstausweis. Sie sagten, "Sie können uns doch durch den Spion sehen". Ich sagte, "wie kann ich sicher sein, dass Sie wirklich Polizisten sind?" Das machte sie ganz wild. Sie sagten "Wir werden es dir zeigen!" - und traten die Tür ein. Dann schlugen sie mich. Es war sehr brutal.

SZ: Wir haben gelesen, dass Sie sich schon bei der Polizei beschwert haben.

Ai: Ich warte noch auf das Ergebnis der Untersuchung, die sie mir versprochen haben. Möglicherweise werde ich aber auch klagen. Es geht dabei nicht so sehr um die Schläge. Exzessive Polizeigewalt gibt es in jedem Land. Das Problem ist, dass Chinas Rechtssystem nicht unabhängig ist. Man kann sich nirgendwo beschweren, wenn man geschlagen wurde. Letztes Jahr ist dem Polizistenmörder Yang Jia aus Shanghai der Prozess gemacht worden. Er stellte im Gerichtssaal nur eine einzige Frage: "Haben Sie mich geschlagen oder nicht?". Aber unser ganzes Land, selbst der Oberste Gerichtshof, wollte seine Frage nicht beantworten. Sie haben ihn einfach hingerichtet.

SZ: Sind Sie sicher, dass Ihre Gehirnblutung eine Spätfolge dieser Schläge ist?

Ai: Der Polizist schlug mir hart ins Gesicht, auf den rechten Wangenknochen. Mein Kopf flog zurück, und dabei muss das Gehirn herumgeschleudert worden sein. Ich ließ mich noch am selben Tag im Krankenhaus untersuchen, aber es war ein chinesisches Krankenhaus, und sie sagten, sie könnten nicht bestätigen, dass ich geschlagen worden sei. Von da an hatte ich Kopfschmerzen.

SZ: Wie häufig werden Menschen in China von der Polizei geschlagen?

Ai: Jeden Tag, vielleicht jede Sekunde. Wenn sie sich beschweren wollen, werden sie oft ein zweites Mal geschlagen. Manchen Menschen, die von ihrem Beschwerderecht Gebrauch gemacht haben, sind sogar die Beine gebrochen worden. Andere werden in Gästehäusern eingesperrt, die zu geheimen Gefängnissen umfunktioniert worden sind. In diesem Jahr feiert die Kommunistische Partei Chinas den 60. Geburtstag unseres Staates. Sie sonnt sich in ihrem eigenen Glanz. Aber alle Fairness, alle Gerechtigkeit sind für dieses System geopfert worden.

SZ: Was ist aus Tan Zuoren geworden?

Ai: Bei seinem Prozess wurden keine Zeugen zugelassen. Viele Beweise seines Anwalts wurden nicht zugelassen. Sie haben das Urteil noch nicht verkündet. Er ist immer noch in Haft.

SZ: Warum setzen Sie sich so ausdauernd für die in Sichuan ums Leben gekommenen Schulkinder ein?

Ai: Wir wissen, dass mehr als 5000 Kinder wegen der baulichen Mängel der Schulgebäude gestorben sind, und nicht allein wegen des Erdbebens. Ich habe eine Untersuchung begonnen. Viel zu lange schon wird das Leben einzelner Menschen in unserer Gesellschaft nicht wirklich ernst genommen. Mehr als zwanzig Mal hat die Polizei seitdem unsere freiwilligen Helfer festgenommen. Zwei sind auch geschlagen worden.

SZ: In Ihrer Ausstellung im Haus der Kunst in München setzen Sie sich auch mit dem Thema der Schulkinder von Sichuan auseinander.

Ai: Nur auf der Fassade. Dort wird ein Satz hängen, den mir eine Mutter aus Sichuan in einer E-Mail geschrieben hat, die Mutter der kleinen Yang Xiaowan, die bei dem Erdbeben starb. Sie schrieb mir, sie wolle bloß, dass man sich an ihre Tochter erinnere. "Sie hat sieben Jahre lang glücklich in dieser Welt gelebt."

SZ: Hat ein Künstler in einer Diktatur eine besondere gesellschaftliche Verantwortung?

Ai: Ich weiß nicht wie andere darüber denken. Mein gesellschaftlicher Standpunkt und mein Standpunkt als Künstler sind miteinander verknüpft. Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft gerecht wird, dass alle gleiche Chancen haben. Und ich hoffe auch, dass jeder seine Meinung äußern kann. Ich möchte nicht ein Künstler sein, der sich nicht um solche Fragen kümmert. Wenn Sie in einer Diktatur leben, dann können Sie sich gar nicht anders verhalten, denke ich. Sie müssen sich wehren.

SZ: Sie benutzen für Ihre Aktionen intensiv das Internet und neue Online-Dienste wie "Twitter".

Ai: Vor drei Jahren hatte ich einen Blog, aber der wurde ein halbes Jahr lang vom Netz genommen. Da begann ich, Twitter zu nutzen. Derzeit benutze ich einen kleinen Online-Nachrichtendienst namens " zuo sa" (auf Deutsch: Was machst Du?")

SZ: In Deutschland gab es gerade einen kleinen Skandal wegen des Drucks aus Peking auf die Frankfurter Buchmesse. Es gibt das Argument, man solle besser den Dialog mit der chinesischen Regierung suchen, anstatt sie ständig zu kritisieren.

Ai: Ich bin sehr für Dialog. Aber dafür braucht man zwei Seiten.

© SZ vom 17.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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