Cem Özdemir:Opfer der Umstände

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Warum der wohl beliebteste Grünen-Politiker darauf verzichtet, für das Amt des Fraktionsvorsitzenden im Bundestag zu kandidieren.

Von Constanze von Bullion, Berlin

"Das muss ich akzeptieren": Cem Özdemir wird seinen Posten abgeben. (Foto: Adam Berry/Getty Images)

Er gilt als einer der populärsten Grünen-Politiker und genießt auch jenseits der Parteigrenzen Anerkennung. Cem Özdemir, 52 Jahre alt und Parteichef der Grünen, gilt in bürgerlichen Kreisen als neuer Typus der Grünen. Nun aber muss der Grünen-Chef sich von seinen Ambitionen erst einmal verabschieden. Schon vor Weihnachten hatte Özdemir angekündigt, auf eine Kampfkandidatur um den grünen Fraktionsvorsitz im Bundestag zu verzichten. Nun schließt er eine Kandidatur auch offiziell aus. "Ich habe erkennbar keine Mehrheit. Das muss ich akzeptieren", sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er verheimliche nicht, dass er gern Fraktionsvorsitzender geworden wäre. Der Blick der Bundestagsfraktion richte sich jedoch "derzeit eher nach innen als nach außen".

Kommenden Donnerstag und Freitag will die grüne Bundestagsfraktion bei einer Klausur über ihre inhaltliche und personelle Aufstellung in der nächsten Legislatur beraten. Dabei soll auch über die Posten der beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag entschieden werden. Es gilt als sicher, dass Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter in ihren Ämtern bestätigt werden. Aber auch der ersten parlamentarischen Geschäftsführerin Britta Haßelmann, die zuletzt mit einer furiosen Attacke auf die AfD von sich reden machte, dürfte die Wiederwahl sicher sein.

Der Parteichef und Bundestags-Spitzenkandidat Cem Özdemir fällt bei diesem Szenario durch den Rost. Zum einen wird bei den Grünen der Frauenplatz immer zuerst vergeben, in diesem Fall an Katrin Göring-Eckardt. Özdemir könnte nur gegen den Parteilinken Anton Hofreiter antreten, was offenbar ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Anders als Özdemir stößt Hofreiter zwar auf Widerstände in bürgerlichen Kreisen, schon seiner Haarpracht wegen. Er ist dem Parteichef auch rhetorisch unterlegen. In der Fraktion aber wird der promovierte Biologe Hofreiter als versierter Umweltpolitiker und loyaler Mensch geschätzt. Selbst Realos rechnen ihm hoch an, dass er nach seinem Scheitern bei der Urwahl ohne zu Jammern die Kärrnerarbeit in der Fraktion übernahm, während Özdemir und Göring-Eckardt als Spitzenkandidaten glänzen konnten. Nun drehe sich der Spieß eben mal um.

Doch es gibt noch ein gewichtigeren Grund, warum Realo Cem Özdemir nun leer ausgeht. Er heißt Robert Habeck, ist Schleswig-Holsteins Umweltminister und will Ende Januar Grünen-Chef werden, zusammen mit der Bundestagabgeordneten Annalena Baerbock. Wegen der Trennung von Amt und Mandat müsste Habeck sein Ministeramt eigentlich gleich nach der Wahl zum Parteichef niederlegen. Habeck hat sich nun eine Satzungsänderung ausbedungen, die ihm eine Übergangszeit von bis zu einem Jahr gewähren soll, um die Ministergeschäfte zu übergeben.

Hier nun stößt die Causa Habeck an die Causa Özdemir. Denn Habeck gehört zum realpolitischen Flügel der Grünen, wie Annalena Baerbock und Göring-Eckardt auch. Hätte auch noch Özdemir kandidiert, wären das vier Realos für vier Spitzenposten - der Parteilinken wäre das nicht vermittelbar. Und eine weitere Drohung stand zwischendurch im Raum. Sollten die Realos, die in der Fraktion die Mehrheit stellen, Özdemir einfach "durchzocken", dann könne Habeck beim Parteitag Probleme bei seiner Satzungsänderung bekommen, ließ ein Parteilinker wissen.

Kommt Özdemir als Fraktionschef, wird Habeck kein Parteichef - so konnte man das verstehen. Nach Özdemirs Rückzug aber sind bei den Grünen nun wieder versöhnlichere Töne zu hören. "Cem Özdemir wird für uns Grüne mit seiner Präsenz sicher auch in Zukunft weiter zentrale politische Akzente setzen", sagte Annalena Baerbock der SZ. Auch der grüne Innenpolitiker Konstantin von Notz suchte die Wogen zu glätten. "Wir müssen versuchen, das solidarisch zu lösen und nicht so viel zu hadern", sagte er. Andere Grüne betonten, es gehe um die Partei, nicht um eine persönliche Karriere eines Einzelnen. Cem Özdemir werde weiter "eine herausragende Rolle" spielen, so oder so, sagte Fraktionschefin Göring-Eckardt dem Tagesspiegel. Wie diese Rolle genau aussehen soll, ließ sie offen

© SZ vom 08.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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