CDU-Wahlkampf:Sind "Wir" alle Merkel?

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Die Kanzlerin beschwört die Kraft der Gemeinschaft und lässt sich von US-Präsident Obama inspirieren. Ihr Wahlkampf spricht alle an - aber niemanden richtig.

Nico Fried

Im Sommer 2006, als die große Koalition den sie tragenden Parteien die ersten dicken Brocken servierte, erschien Angela Merkel vor dem Wirtschaftsrat der CDU. Die Kanzlerin musste das Anti-Diskriminierungs-Gesetz rechtfertigen. Es galt vielen in der Partei als Auswuchs staatlicher Regulierungswut und Gleichmacherei. Merkel räumte damals ein, sie habe "nicht die Kraft" gehabt, sich den Ansprüchen einiger Interessengruppen zu widersetzen. Das war ein bemerkenswerter Satz in ihrer Anfangszeit als Kanzlerin, in der Merkel in der Union und auch jenseits davon vielen Zweifeln ausgesetzt war, ob sie ihrer Aufgabe überhaupt gewachsen sei.

Drei Jahre später, an diesem Sonntag, eröffnet nun die CDU die Schlussphase ihres Wahlkampfs. Im Mittelpunkt stehen die Person Merkel und ein Slogan: "Wir haben die Kraft". Die Kanzlerin muss also weiter sein als damals, die CDU auch, alles soll jetzt anders sein. Der Slogan ist, verglichen mit den Parolen anderer Parteien, der eingängigste; das schwarz-rot-gold unterlegte "Wir" fast schon zu einem Markenzeichen geworden. Nur eine Frage bleibt offen und macht aus der scheinbar eindeutigen eben doch eine diffuse Botschaft, geradezu ein Symbol dafür, dass Merkel in diesem Wahlkampf nicht zu fassen ist. Diese Frage lautet: Wer ist "Wir"?

Im politischen Alltag ist Merkels Wir schwer zuzuordnen, gerade weil sie es in letzter Zeit so oft benutzt. Mal ist die CDU gemeint, mal die Regierung, mal die Koalition, mal sind es alle, wir alle - und gar nicht selten ist es eben nicht eindeutig. Merkel selbst gehört natürlich immer dazu. Damit aber schützt das Wir oft auch die Kanzlerin. Wer kritisiert schon ein Wir, von dem er nicht sicher sein kann, dass er selbst dazu gehört?

Manchmal sagt Merkel auch "man" statt "wir", wie jüngst, als sie mit Blick auf Managergehälter erklärte: "Da muss man ein gesellschaftliches Klima schaffen, wo man sagt: So geht das nicht." Das "man" ist der kleine Stiefbruder des "Wir". Es ist noch weniger definiert, es ist die Form, in der nicht einmal mehr klar ist, ob Merkel nun eigentlich dazu gehört - sonst wäre ja die Frage naheliegend, ob sie nicht längst Gelegenheit gehabt hätte, ein solches gesellschaftliches Klima oder sogar entsprechende Gesetze zu schaffen.

Die Kanzlerin kopiert Obama

Merkel hat auch ein Problem, weil das Wir kein Original ist, sondern ein Zitat. "Wir haben die Kraft." Klingelt's? Yes we can. Näher am Original hätten die Christdemokraten den Slogan nicht übersetzen dürfen, ohne sich dem Vorwurf des Plagiats auszusetzen. Das Motiv aber ist dasselbe, das verbindende Element ist der Begriff von Gemeinsamkeit, der diese zugleich stiften soll.

Es ist erstaunlich, dass Merkel, die im Fernsehduell des Bundestagswahlkampfes 2005 noch Ronald Reagan zitierte und später die Obamania skeptisch, ja mit leisem Spott begleitete, sich nun bei Obama bedient. Mit dessen Kampf um eine Gesundheitsreform kann die Kanzlerin sich dieser Tage sogar in ihrem Zweifel bestätigt sehen, ob Enthusiasmus allein genüge, um auch konkrete Politik zu machen - ironischerweise ausgerechnet in dem Moment, in dem sie Obama für ihren Wahlkampf kopiert.

Gemeinsam sind wir stark

Das "Yes we can" ist früheren Parolen amerikanischer Gewerkschaften entlehnt. Es ist ein originär linker Slogan, ein Aufruf, die Reihen zu schließen. Gemeinsam sind wir stark, meistens im Widerstand. In der Sozialdemokratie gibt es dafür schon immer einen programmatischen Begriff. Er heißt Solidarität. Wenn die Kanzlerin ihren Slogan ernst meint, ist dieses Denken nun auch in der Merkel-CDU angekommen. Natürlich hatten die Christdemokraten immer einen sozialen Flügel. Aber es ist schon beachtlich, wenn eine Partei, die Individualität und Selbstverantwortung zu ihren Prinzipien zählt, nun prominent mit dem Satz wirbt: Wir haben die Kraft für ein neues Miteinander.

Im Grimmschen Wörterbuch bezieht sich das Personalpronomen wir "auf den engeren und weiteren Kreis, zu dem sich der sprechende oder schreibende rechnet". Es handelt sich also eigentlich um einen ein- und abgrenzenden Begriff. Bei Gerhard Schröder war das eindeutig, er hat stets im konfrontativen Sinne formuliert: "Wir sind es doch gewesen...", war Schröders Mobilisierungsruf, wenn seine Sozialdemokraten verzagt über ihre Zweifel an der eigenen Daseinsberechtigung lamentierten.

Nichts sagen, alles verschleiern

Schröder bezog sich klar auf die SPD und erlaubte allenfalls, diese Identitätszuschreibung auf die rot-grüne Koalition zu erweitern. Die politischen Gegner waren für Schröder "die anderen", die er schon dadurch abwertete, dass er sie nicht einmal beim Namen nannte. Merkels Vorgänger hat es also genau umgekehrt gemacht wie sie: Sein Kollektiv war eindeutig abgegrenzt - wir hier, die anderen da. Bei Merkel dagegen scheint es nicht im Grimmschen Sinne um einen engeren oder weiteren Kreis zu gehen, sondern ums Ganze. Um alle.

Wenn Merkel aber wirklich alle meint, dann ist es keine politische Realität, sondern eine unglaubwürdige Verheißung. Dann handelt es sich um den untauglichen Versuch, mit dem Versprechen eines Miteinanders die Wirklichkeit der sozialen Gegensätze einfach zu planieren. Es ist das präsidiale, überparteiliche Wir, wie es vielleicht Horst Köhler in seinen Reden benutzen darf (und auch immer wieder benutzt). Aber es ist kein Wir mehr, in dem sich Interessen unterscheiden und mit dem sich eine politische Auseinandersetzung führen lässt.

Das Wir führt zu nichts

Dieses präsidiale Wir führt zu nichts, weil es die Verantwortlichkeiten verwischt. Merkel, Merkel, nur noch Merkel plakatiert die CDU in den nächsten Wochen. Wenn dann das "Wir haben die Kraft" nicht als Pluralis Majestatis gemeint ist, dann macht es die Kanzlerin zum herausragenden Gesicht einer Gruppe, entlastet sie damit aber in Wahrheit von ihrer individuellen Verantwortung. Dagegen sollen alle anderen auch dazu gehören, ohne dass daraus jedoch konkrete Verantwortung entsteht. Eigentlich sind alle gemeint, aber niemand richtig. So dient das "Wir" einem "Trickbetrug" zur Erzeugung von Unverbindlichkeit, wie es der Dramatiker Botho Strauß einmal beschrieben hat.

Barack Obamas "We" war umfassend und integrativ gemeint. Es hatte nicht nur Pathos, sondern auch eine sofort ersichtliche Legitimität in einer nach acht Jahren George W. Bush politisch tief gespaltenen amerikanischen Nation. Merkels "Wir" sagt nichts und verschleiert alles. Es fehlt der Kanzlerin nicht nur an Pathos, vielmehr wirkt Merkels Ruf nach dem großen Miteinander auch eher verwirrend nach vier Jahren der großen Koalition, nach andauernder Konsenssuche, aber auch nach gemeinsamer Krisenbewältigung. Merkel möchte aus der großen Koalition heraus, weil diese hinter ihren Möglichkeiten geblieben sei, wie sie neuerdings sagt. Im neuen Miteinander aus Union und FDP und gegenüber einer Opposition, die stärker sein wird als in den vergangenen vier Jahren, soll dann das große "Wir" entstehen? Das glaubt die Kanzlerin hoffentlich selber nicht.

© SZ vom 05.09.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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