Gesellschaftsjahr:"Engagement sollte nicht verpflichtend sein"

Lesezeit: 2 min

Mit Kindern ist immer etwas los: Für Elisa Wilke war es wichtig, beim Bundesfreiwilligendienst auch Abwechslung zu haben. (Archivbild) (Foto: picture alliance / dpa)

Elisa Wilke leistet ihren Bundesfreiwilligendienst, ist aber gegen ein verbindliches Gesellschaftsjahr für alle. Sie sieht die Bürger nicht in der Pflicht, dem Staat etwas zurückgeben zu müssen.

Interview von Philipp Saul

Vor dem Bundesparteitag der CDU am Wochenende in Leipzig gibt es Forderungen, den Vorschlag für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr in der großen Koalition voranzutreiben. Junge Menschen sollen sich dabei ein Jahr lang zum Beispiel in sozialen Einrichtungen oder der Bundeswehr engagieren.

Auf freiwilliger Basis gibt es bereits seit einigen Jahren den Bundesfreiwilligendienst. Dort sind derzeit fast 40 000 Menschen aktiv. Elisa Wilke ist eine von ihnen. Die 19-Jährige ist seit Kurzem eine der Bundessprecherinnen im Bundesfreiwilligendienst. Sie spricht über ihre Erfahrungen und die Frage, ob ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr nötig ist.

Frau Wilke, was machen Sie in Ihrem Bundesfreiwilligendienst?

Ich arbeite seit dem Sommer in einem Kinder- und Jugendzentrum. Da spiele ich mit den Kindern, mache Ausflüge, wir malen und basteln. Mit den Jugendlichen kann man außerdem chillen und quatschen. Wir haben auch ein Studio, in dem wir eigene Lieder aufnehmen können. Man kann total kreativ sein. Jeder Tag ist anders. Bei der Auswahl des Platzes im Freiwilligendienst war für mich wichtig, dass ich nicht immer den gleichen tristen Ablauf habe.

Soziale Arbeit fördert angeblich auch den eigenen Charakter. Davon könnten sicher alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen profitieren, oder?

Ja, ich finde schon, dass das vor allem für die persönliche Entwicklung eine sehr große Rolle spielt. Ich habe schon einmal ein Jahr lang ein Praktikum in der mobilen Jugendarbeit gemacht. Dadurch lernt man sich nochmal ganz anders kennen und wird viel reifer, selbstbewusster und selbstständiger. Auch Freunde und meine Familie sagen mir immer, dass ich daran gewachsen bin.

Aus der Union werden wieder Forderungen nach einem Gesellschaftsjahr laut. Dabei sollen sich junge Menschen verpflichtend ein Jahr lang in sozialen Bereichen oder in der Bundeswehr für die Gesellschaft engagieren. Was halten Sie davon?

Ein verpflichtendes Jahr finde ich nicht so gut. Zwar kann man sich überlegen, ob man später in den entsprechenden Beruf gehen möchte, aber das ist nichts für Menschen, die schon ganz genau wissen, was sie nach dem Abitur machen wollen, zum Beispiel ein bestimmtes Fach studieren oder verreisen. Das wäre dann zwar keine Zeitverschwendung, aber es wäre ein Jahr, in dem sie etwas machen müssten, was sie vielleicht gar nicht wollen.

Ein Argument der Befürworter einer Verpflichtung ist, dass man der Gesellschaft auf diese Weise etwas zurückgebe.

Man gibt sicher etwas zurück, auch wenn das manchmal nur Kleinigkeiten sind. Wenn es einem Kind seelisch schlecht geht und man diesem Kind das Jahr über beisteht und eine Beziehung zu ihm aufbaut. Oder wenn man in der Altenpflege arbeitet, da tut man schon etwas für die Gesellschaft.

Elisa Wilke ist eine der Bundessprecherinnen im Bundesfreiwilligendienst. (Foto: privat)

Aber sollte es einen Anspruch des Staates darauf geben, dass die Bürger für den Rechts- und Sozialstaat etwas zurückgeben müssen?

Nein, ich denke nicht, dass man etwas an den Staat zurückgeben muss. Es gibt bestimmte Rechte der Bürger wie zum Beispiel Bildung. Ich finde es gut, dass sich viele engagieren und einsetzen, aber das sollte nicht verpflichtend sein, um Dankbarkeit zu zeigen.

Einige Branchen könnten helfende Hände gut gebrauchen. Wäre ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr nicht vielleicht eine Möglichkeit, dem Personalnotstand etwa in der Pflege entgegenzuwirken?

Das klingt zuerst einmal gut. Aber es ist auch beispielsweise nicht für jedermann etwas, in der Pflege zu arbeiten. Da müsste man die passenden Leute finden. Es gibt ja Menschen, die gar nicht mit Kindern, alten Menschen oder Behinderten umgehen können. Die wissen teilweise schon, dass sie etwas ganz anderes tun möchten und würden in einem verpflichtenden Jahr vielleicht untergehen.

Und was ist mit denen, die nach der Schule noch nicht wissen, was sie machen wollen? Könnte das Gesellschaftsjahr nicht wenigstens für diejenigen verpflichtend sein?

Genau für diejenigen ist ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr da, oder ein Bundesfreiwilligendienst. Es gibt ja Jugendliche, die sich nach der Schule erstmal selbst umschauen oder reisen wollen. Ein verpflichtendes Jahr wäre dann ein bisschen hemmend.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bundeswehr
:Für die Wehrpflicht fehlt der entscheidende Grund

Die Union will Gemeinsinn verordnen. Die Wehrpflicht ist aber nicht dazu gedacht, die Personalnot im Seniorenheim oder bei den Panzergrenadieren zu lindern.

Kommentar von Joachim Käppner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: