Bundeswehr:Bilder und Vorbilder

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Wieder einmal führen Armee und Gesellschaft eine Debatte über das Traditionsverständnis. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht brächte nichts.

Von Joachim Käppner

Feldwebel Anton Schmid half verfolgten Juden im Ghetto von Wilna. Hunderte verdankten ihm ihr Leben, er selbst bezahlte mit dem seinen und wurde 1942 hingerichtet. Oberleutnant Albert Battel hinderte die SS sogar mit Androhung von Gewalt daran, die Juden der Festungsstadt Przemyśl zu deportieren; sein Kommandeur Max Liedtke deckte ihn. Für jeden dieser deutschen Soldaten steht ein Baum im Hain der Gerechten, in dem die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem die Retter ehrt.

Nach Battel und Liedtke sind keine Kasernen benannt, aber noch immer nach Hitlers Feldherrn Rommel oder einem Wehrmachtsgeneral, der als "Panzer-Schulz" bekannt war. Als die Bundeswehr 2004 doch noch Anton Schmid zum Namenspatron einer Kaserne machte, galt dies als Symbol dafür, dass sich endlich ein Bewusstsein für Traditionen herausbildet, auf welche die deutsche Armee wesentlich stolzer sein könnte (und vielerorts auch stolzer ist) als auf "soldatische Vorbilder" der NS-Zeit.

Dieser Prozess aber verläuft so zäh, dass sich die Bundeswehr wieder einmal nach ihrem Traditionsverständnis fragen lassen muss - und danach, wie anfällig sie für rechtes Denken ist. Brisanz erhielt die Debatte durch die mutmaßliche Terrorzelle von Soldaten, die sich wegen Inkompetenz und Gleichgültigkeit von Vorgesetzten bilden konnte.

Die meisten Soldaten haben mit Rechtsextremismus nichts zu tun. Und doch ist die Armee selber schuld daran, dass diese Debatte geführt werden muss

Viele Soldaten fühlen sich nun unter Generalverdacht gestellt: so, als hingen sie NS-Traditionen an, die sie in Wirklichkeit energisch ablehnen. Die überwältigende Mehrheit in der Bundeswehr hat mit Rechtsradikalismus nichts am Hut; zu Recht entschuldigte sich Ministerin Ursula von der Leyen dafür, dies bei ihrer Klage über ein "Führungsproblem" der Truppe nicht klargestellt zu haben. Nur: Das macht die Klage nicht falsch. Was ist es sonst als ein Führungsproblem, wenn in manchen Kasernen noch Bilder von Hitlers Panzern und Generälen hängen? Wenn der MAD, der rechte Verdachtsfälle untersuchen soll, zu wenig Leute dafür hat? An dieser Debatte ist die Bundeswehr selbst schuld.

Daher erscheint sie, wieder einmal, vielen Menschen im so zivilen Deutschland irgendwie verdächtig. Für Soldaten, die dieser Demokratie dienen und in Kundus ihr Leben riskiert haben, mag das bitter sein und ungerecht; erst recht sind es schrille Unterstellungen, sie seien allesamt Rambos und Ewiggestrige. Trotzdem kann die Kur nicht darin bestehen, dass die Leute Missstände bei der Armee großmütiger betrachten. Die Armee muss solche Missstände noch entschiedener bekämpfen, auch wenn ein Apparat von 180 000 Menschen nie ganz davor gefeit ist. Es ist allemal besser, die Zivilgesellschaft sieht wachsam auf die Streitkräfte, als sie als Schule der Nation zu betrachten.

Armeen bilden aus zum Denken in Befehl und Gehorsam, zum Einsatz von Gewalt, letztlich zur Fähigkeit zum Töten. In Demokratien soll diese Gewalt Ultima Ratio bleiben, zur Verteidigung oder in völkerrechtlich legitimierten Einsätzen, und an Werte und Verfassung gebunden sein. Es braucht jedoch auch oder gerade darum professionelle Soldaten und eine klare Abgrenzung zum Militarismus - auch weil der Umgang mit Waffen einen Typus anzieht, den man am besten weit von diesen Waffen fernhält. Die Bundeswehr wurde von den Reformern der ersten Stunde in diesem Sinne entworfen: als Gegenmodell zur Wehrmacht, der Armee des Vernichtungskriegs, als Truppe der Staatsbürger, in der ein verbrecherischer Befehl nicht befolgt werden darf und das Militär kein Kosmos mit eigenen Gesetzen ist.

Dieses Prinzip der Wertebindung, "Innere Führung" genannt, war jedoch in der noch aus der Wehrmacht stammenden Aufbaugeneration der Bundeswehr recht unpopulär - aus jener Zeit stammen die zähen Traditionsbilder, die sich eigentlich vom ersten Tag an verboten hätten. Aber in der Nachkriegsgesellschaft, die vom Geist des Vergessens durchdrungen war, konnten die Streitkräfte wohl nicht besser sein als diese Gesellschaft selbst.

Die Innere Führung wird heute wie eine Flagge demokratischen Bekenntnisses demonstrativ hochgehalten. Schon die Regierung Helmut Schmidts trat mit dem Traditionserlass von 1982 eigentlich aller Wehrmachtsnostalgie entgegen; es ist schlimm genug, dass noch heute deren zähe Reste auszufegen sind. Innere Führung lässt sich nicht verordnen, sie muss mit Leben erfüllt werden. Teilweise ist sie jedoch angesichts der Überlastung der Bundeswehr mit immer neuen Aufgaben und Reformen zur lästigen Pflichtübung verkommen; dabei wäre sie jetzt besonders nötig, um zu verhindern, dass sich eine trotzige, destruktive Haltung des Verkanntwerdens in den Kasernen ausbreitet.

Um das Verhältnis der Gesellschaft zur Armee zu verbessern, fordern manche bereits die Rückkehr der Wehrpflicht. Das wäre ein kolossales Missverständnis. Während der langen Zeit der Wehrpflicht in der Bundesrepublik gab es wesentlich schlimmere Skandale um Tradition, Rituale und Schikanen als heute; rechtes Denken, das es in der Gesellschaft gab, wurde auch durch die Wehrpflicht in die Bundeswehr getragen. Ob solches Denken sich in der Bundeswehr einzunisten vermag, ist keine Frage von Berufs- oder Freiwilligenarmee.

Es ist eine Frage der Inneren Führung. Eine Armee mit demokratischem Anspruch könnte in der deutschen Geschichte genug Traditionen finden. Vielerorts geschieht das bereits, etwa durch die - einst mühsam durchgesetzte - Würdigung des Militärwiderstandes gegen die Nazis. Aber die Tradition eines deutschen Militärs, das (leider meist vergeblich) für die Freiheit streitet statt gegen sie, ist noch viel reicher; man kann sie zurückverfolgen bis zu den Bauernkriegen 1525; da sind die Revolutionäre von 1848, die Verteidiger der badischen Republik gegen die Übermacht der Preußen 1849, die aufständischen Soldaten und Matrosen von 1918.

Die Bundeswehr jedenfalls darf sich nicht damit trösten, dass Ausbildungsskandale, Übergriffe, falscher Korpsgeist und Mangel an Bürgersinn in vielen anderen Armeen weit üblicher sind. Die Bundeswehr ist historisch Nachfolger einer Streitmacht, die einst die Welt in Brand setzte. Für sie gelten andere Ansprüche.

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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