Bundesverwaltungsgericht:Die Akte Modrow

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Der einstige Regierungschef der DDR klagt auf Einsicht in seine Geheimdienstberichte. Der heute 90-Jährige will vor allem wissen, warum auch nach dem Mauerfall Informationen zu seiner Person gesammelt wurden.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Dr. M. gegen die Bundesrepublik - schon die Ankündigung des Prozesses klingt wie der Titel eines Agententhrillers. Und tatsächlich könnte an diesem Mittwoch noch einmal ein Hauch Kalter Krieg durch das Leipziger Bundesverwaltungsgericht wehen, denn Dr. M., das ist Hans Modrow. Der letzte DDR-Ministerpräsident mit SED-Parteibuch klagt auf die Herausgabe seiner Geheimdienstakten. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines Papiergefechts, das 2013 begann. Auf Anfrage erhielt Modrow vom damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) schriftlich Auskunft, dass er jahrelang von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz beobachtet worden sei. Wenig später erbrachte eine Kleine Anfrage der Linken weitere Details über Zeitraum und Umfang der Überwachung Modrows: Demnach sammelte der BND von 1958 bis 1990 Informationen, der Verfassungsschutz von 1965 bis 2013. Im Zusammenhang mit linksextremistischen Bestrebungen habe es bereits seit 1951 Maßnahmen gegeben.

Die Schriftstücke dürfen erst 2027 geöffnet werden. Es sei denn, das Gericht gibt Modrow Recht

Seither versucht Modrow, der im Januar seinen 90. Geburtstag feierte, in Erfahrung zu bringen, was in den Akten steht, wie und wann es dort hineingekommen ist. Viel herausbekommen hat er nicht. Die Berichte liegen im Bundesarchiv unter Verschluss. Wegen potenzieller Staatsgeheimnisse dürfen sie frühestens nach 2027 geöffnet werden.

Es sei denn, das Bundesverwaltungsgericht gibt Modrow recht. Dem ehemaligen Spitzenkader ist vor allem eine Frage wichtig: Warum auch nach dem Mauerfall Informationen zu seiner Person gesammelt wurden, selbst zu Zeiten, als er als Abgeordneter im Bundestag und im Europaparlament saß. "Im Inland ist der Kalte Krieg noch nicht vorbei", sagt Modrow, heute Vorsitzender des Ältestenrats der Linken. Die Guten im Westen, die Bösen im Osten - das sei noch immer die vorherrschende Meinung, die tatsächlichen Verhältnisse im geteilten Deutschland seien andere gewesen. Schon 2006 stellte Modrow in einem Interview mit dem Magazin Cicero seine Sicht der Dinge dar, bezeichnete Stasi-Akten als "Harmlosigkeiten" und gab der Bundesrepublik eine "Mitschuld an der innerdeutschen Grenze". Seine Äußerungen veranlassten auch Parteigenossen zu Widerspruch.

Modrow, lange Zeit als Reformer gehandelt und wegen seines bescheidenen Lebensstils "der gute Hans" genannt, machte auch in den Jahren nach der Wiedervereinigung Schlagzeilen: 1993 befand ihn das Landgericht Dresden für schuldig, in der DDR Anweisungen zur Wahlmanipulation gegeben zu haben. 1996 wurde er wegen Meineids verurteilt. Der frühere Dresdner SED-Bezirkschef hatte bestritten, beim gewaltsamen Vorgehen gegen Demonstranten Anfang Oktober 1989 am Dresdner Hauptbahnhof eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Am Ende waren es Akten, die ihn widerlegten.

Sorge, dass die etwaige Freigabe geheimdienstlicher Berichte erneut Unschmeichelhaftes zutage fördern könnte, hat Modrow nicht. "Anders als Helmut Kohl, der sich gegen die Veröffentlichung seiner Stasi-Akten gewehrt hat, bin ich für totale Offenheit", sagt Modrow, der ebenfalls Ziel der Staatssicherheit war. Er wolle nichts als Klarheit schaffen. Darüber, wie die Geheimdienste in BRD und DDR arbeiteten und für die Geschichtsschreibung: "Sollte ich die Akten bekommen, werde ich sie unverzüglich Historikern zugänglich machen", so Modrow.

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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