Bundesverfassungsgericht:Das nervöse Monster

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Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle (Mitte) zog in der Verhandlung einen Vergleich zum Metzgerhandwerk. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Karlsruhe verhandelt über die Kontrollrechte der Opposition. Hintergrund ist die Aufarbeitung der Finanzkrise.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Vielleicht hatte manch einer erwartet, die Richter würden beidrehen, sobald das nervöse Monster namens "die Märkte" ins Spiel kommt. Transparenz und Demokratie, gut und schön - aber wenn "die Märkte" auf Unternehmensinformationen mit wilden Ausschlägen reagieren, dann schweigt man doch besser. Oder? So ungefähr lässt sich die Linie zusammenfassen, die Bundesfinanzministerium, Bankenaufsicht und diverse Geldinstitute vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten haben. Aber die Richter drehten nicht bei. Aus ihren Fragen während der zweitägigen Verhandlung ließ sich vielmehr heraushören, dass sie Transparenz und Demokratie für eine ganz gute Sache halten. Auch für "die Märkte".

"Bis zur Stabilisierung war höchste Diskretion nötig", sagt Bernd Giersberg von der Bafin

Es ging in der Anhörung weniger um die Bankenaufsicht, sondern um die demokratischen Kontrollrechte der Opposition. Die Grünen hatten 2010 mit einer "Kleinen Anfrage" versucht, Versäumnisse in der Finanzkrise aufzuklären, auch bei der Bankenaufsicht. Und zwar nachträglich, wie der Abgeordnete Gerhard Schick betonte; dass der Bundestag vor einer Anleihenemission nicht informiert werden könne, sei einzusehen. Immerhin hatte die Bankenrettung den Steuerzahler 70 Milliarden Euro gekostet. Also erkundigten sich die budgetverantwortlichen Parlamentarier nach Prüfungen durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und nach Bonuszahlungen der staatlich gestützten Banken. Mit begrenztem Erfolg: Das Ministerium berief sich auf Vertraulichkeit. Selbst die bloße Zahl aufsichtsrechtlicher Maßnahmen gegen bestimmte Banken sollte geheim bleiben, auch zwei Jahre nach Ausbruch der Krise. Die Finanzkrise sei eine Vertrauenskrise gewesen. "Bis zur Stabilisierung war höchste Diskretion nötig", sagte Bernd Giersberg von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. An dieser Stelle fiel dem Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle am Dienstagnachmittag der Vergleich zum Metzgerhandwerk ein: "Sie sagen: Das Vertrauen basiert darauf, dass man nicht weiß, wie die Wurst gemacht wird?" Man könne sich aber doch auch eine Welt vorstellen, die auf Aufklärung setze - weil Aufklärung vertrauensbildend sei. Skeptisch hatten die Richter zuvor auch die Schilderungen von Peter Lutz von der Bafin quittiert. Der hatte die Beschaffung der für die Aufsicht nötigen Informationen als eine eher kooperative Angelegenheit zwischen Anstalt und Bankvertretern beschrieben. Voßkuhle dachte dabei an ein "Näheverhältnis", sein Kollege Peter Huber an eine "Black Box", und Peter Müller gar an "Kungelei": "Heißt das, die Information ist vom Goodwill des Beaufsichtigten abhängig?"

Nun ist nicht zu erwarten, dass Karlsruhe der Regierung und ihren Behörden verordnet, mitten in einer volatilen Krisenlage sensible Marktinformationen offenzulegen. Denkbar ist aber, dass das Gericht es den Parlamentariern erleichtert, problematische Szenarien wie die Finanzkrise in der Rückschau unter die Lupe zu nehmen - mit Kleinen Anfragen, die einen gewissen zeitlichen Abstand zum Geschehen einhalten. Dass aber eine Überprüfung gerade im Zusammenhang mit der Finanzkrise durchaus angezeigt war, machten auch die Äußerungen der Fachleute im Sitzungssaal deutlich. Volker Wieland vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sprach von einem "gewissen Versagen". Sein Kollege Martin Hellwig vom Bonner Max-Planck-Institut sekundierte: "Das ist alles nicht aufgearbeitet." Und beide wandten sich gegen die Behauptung, wer offen und transparent agiere, riskiere gleich einen bank run, also den panikartigen Abzug der Spareinlagen. Es gehe um einen öffentlichen Diskurs über mögliche Fehler und darüber, welche Konsequenzen daraus gezogen würden, sagte Hellwig. Und der bank run? Den könne bereits eine Veränderung der Sonnenfleckenaktivität auslösen.

Auch die Bahn wird sich wohl auf mehr Transparenz einstellen müssen

Auf mehr Transparenz wird sich - zweiter Teil der Grünen-Klage - wohl auch die Bahn einstellen müssen. Zwar legte sich an diesem Mittwoch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, ziemlich ins Zeug, um dem Gericht plausibel zu machen, die Deutsche Bahn AG sei ein waschechtes Wirtschaftsunternehmen im harten Wettbewerb. Damit sei der Vorstand aktienrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Gleichwohl zeige sich die Bahn etwa im Verkehrsausschuss offen gegenüber den Abgeordneten. Bahn-Vorstand Berthold Huber warnte, dass Wettbewerber etwa aus vermeintlich harmlosen Daten zur Pünktlichkeit weitreichende Schlüsse für ihre Preisstrategie ziehen könnten.

Der Zweite Senat ließ zwar Verständnis dafür erkennen, dass der Bundestag nicht Einblick in jede operative Entscheidung erhalten darf. Im Grundsatz aber schien den Richtern die Position von Christoph Möllers näher zu liegen, Professor in Berlin und juristischer Vertreter der Grünen. Der hatte dem Gericht die lange Liste des staatlichen Einflusses in Erinnerung gerufen, von der hundertprozentigen Bundesbeteiligung über die Beamten im Aufsichtsrat bis zur Benennung des Bahnchefs. Deutlich mehr Staat als Wirtschaft also. Oder wie Voßkuhle dem Verkehrsstaatssekretär entgegenhielt: "Man könnte schon den Eindruck bekommen, dass sie den Daumen drauf haben."

© SZ vom 11.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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