Bundestag:Pause für die Windmacher

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Der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser, der als Bundestagsvizepräsident verhindert wurde. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Mit 92 Abgeordneten ist die Partei ins Parlament eingezogen. Bisher aber sind die befürchteten Provokationen und Eklats ausgeblieben.

Von Katja Riedel und Jens Schneider

Für die AfD ist die Welt zweigeteilt. Da gibt es zunächst ihren eigenen, in sich geschlossenen Kosmos. Dort teilt man Nachrichten und Botschaften, vor allem auf Facebook, und bestärkt sich in seiner Haltung. Und dann gibt es den Rest der Welt, den man voller Misstrauen wahrnimmt. In dieser eigenen Welt der AfD hat die Partei einen großartigen Start im Bundestag hingelegt. Von einer "grandiosen Jungfernrede" der Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel war die Rede, nachdem die Unternehmensberaterin ihren ersten Auftritt hatte. Dass einzelne AfD-Abgeordnete ein arg lockeres Verhältnis zur Wahrheit in ihren Reden zeigten, die SZ berichtete über Beispiele, dies wurde in der Partei ignoriert.

"Jetzt weht hier ein neuer Wind", kündigte der Parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann in der ersten Woche im Bundestag an. Tatsächlich ging es bei den ersten Debatten heftig zu. Von der Tribüne im Reichstag ließ sich beobachten, wie AfD-Parlamentarier sich an der Empörung anderer Fraktionen über Auftritte ihrer Kollegen weideten - etwa als sie die Rückführung von Kriegsflüchtlingen nach Syrien forderten.

Doch ist die eigentliche Überraschung das, was nicht passierte: Es gab bisher keine großen Eklats. Die AfD tritt bürgerlich auf - und gefällt sich in der Rolle der Partei, die sich von den anderen ausgegrenzt sieht. Der frühere Frankfurter Stadtkämmerer Albrecht Glaser wurde vom Parlament wegen seiner anti-islamischen Aussagen in drei Wahlgängen nicht gewählt. Man hält aber an Glaser fest. Die Ablehnung der anderen nütze der AfD, heißt es in der Fraktionsspitze. Und Glaser, der gern lange doziert, genießt die Aufmerksamkeit der Medien.

In vertrauten Runden rufen die Neuen gelegentlich Verblüffung oder Befremden hervor. So wird es jedenfalls berichtet. Etwa der Auftritt vom AfD-Mann Bernd Baumann im Ältestenrat. Wolfgang Schäuble, selbst frisch gewählter Bundestagspräsident und deshalb auch Vorsitzender des Ältestenrates der Parlamentarier, eröffnete die erste Sitzung. Geradezu ehrerbietig sei Baumann da aufgetreten, überhöflich, berichten Teilnehmer. Der Parlamentarische Geschäftsführer soll versucht haben, sich bei Schäuble einzuschmeicheln.

Wann die AfDler wohl die Maske fallen ließen, fragt mancher Abgeordnete aus anderen Parteien. Tatsächlich wirkten viele der 92 Parlamentarier der AfD in den ersten Tagen beeindruckt. Etwa davon, dass sie per Fingerschnipsen eine Limousine der Bundestagsfahrbereitschaft ordern können, um sich durch Berlin chauffieren zu lassen. Beeindruckt davon, dass sie mit ihrem Hausausweis jederzeit in die Parlamentsgebäude gelangen, ohne die Sicherheitskontrolle zu passieren. Oder dass sie sich von einem der Bundestagsärzte versorgen lassen können und nicht nach einer Krankenkassenkarte gefragt werden.

Mancher Parteifreund, der die Kritik an einer abgehobenen politischen Klasse ernst nimmt, wie sie aus der AfD über Jahre zu hören war, äußert deshalb schon Sorgen, dass dies seine Partei verändern könne und dass Privilegien korrumpierten. Zuvor zog die AfD mit provokanten Äußerungen und ihren internen Streitereien viel mediale Aufmerksamkeit auf sich. Dann aber überdeckte alles der Trubel um die Koalitionssuche, um Jamaika und Schwarz-Rot. Hinzu kommt: Wen soll die AfD "jagen", wie es Fraktionschef Gauland am Wahlabend angekündigt hatte? In einem Land, in dem noch unklar ist, wer die Regierung stellt und wer die Opposition, muss auch die AfD ihre Rolle erst finden. Sie hat sich nun erst mal eingerichtet - in ihren neuen Büros an der Spree.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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