Bundestag:Das Büro, die sichere Burg

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Der 29-jährige Linken-Abgeordnete Michel Brandt klagte beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen die Zwangsöffnung seines Parlamentsbüros durch die Bundestagspolizei. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Das Bundesverfassungsgericht stellt klar: Abgeordneten-Zimmer sind für die Polizei tabu.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Bei Staatsbesuchen schwieriger Gäste dürfte sich unter den Ordnungskräften stets eine gewisse Panik breitmachen. Man räumt alles aus dem Weg, was irgendwie Anstoß erregen könnte. So ungefähr muss es gewesen sein, als Beamte der Bundestagspolizei im September 2018 an der Fassade Ausdrucke von Fotos der Kurdistanflagge entdeckten, dazu einen Wimpel der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG. Recep Tayyip Erdoğan war in Deutschland zu Gast, der türkische Staatspräsident, und dies in einer angespannten Situation; eine Kurdenflagge am Bundestag könnte da zum Problem werden, fürchteten die Beamten. Und Plakatieren ist im Bundestag ohnehin verboten. Also sperrten sie mit einem Generalschlüssel eine Bürotür auf, nahmen die Plakate ab und hinterließen einen roten Hinweiszettel.

Weil das zwangsgeöffnete Büro dem Bundestagsabgeordneten Michel Brandt (Linke) zustand und Abgeordnete nach dem Grundgesetz besonders geschützt sind, ist aus der übereifrigen Abhängaktion nun ein Verfassungsproblem geworden. Brandt erhob Organklage - und hatte damit nun beim Bundesverfassungsgericht Erfolg. Zwar darf die Bundestagspolizei prinzipiell Gefahren beseitigen, dafür ist sie da. Hier aber habe sie "völlig unangemessen" gehandelt. Erstens ging es um ein Problem von überschaubarer Dimension: Die Plakate hingen in einem oberen Stockwerk und waren "äußerst kleinformatig" im Din A-4-Format gehalten, schreibt das Gericht. Von unten also eigentlich kaum zu sehen; geringes Provokationspotenzial, befanden die Richter. Zweitens hätte die Polizei Brandt oder seine Mitarbeiter einfach anrufen können, statt eigenmächtig in sein Büro einzudringen. Mithin sei die Aktion "unverhältnismäßig" gewesen.

Bei dieser Gelegenheit stellt das Gericht klar, dass jede Polizeiaktion gegen Bundestagsabgeordnete letztlich ans Herz der Demokratie rührt. Die Statusrechte der Abgeordneten seien ein "hochrangiges Rechtsgut", verankert letztlich im Prinzip der repräsentativen Demokratie. Das freie Mandat sichere ihre freie Willensbildung und damit eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zu den Wählern. "Dabei stellt die räumliche Integrität eines Abgeordnetenbüros ein wichtiges Element der freien Mandatsausübung dar", heißt es im Beschluss. Denn das Büro ist der Ort, an dem Dokumente lagern und Arbeitsentwürfe aufbewahrt werden - sensible Güter zur Vorbereitung der politischen Kommunikation. Da muss man sich auf den Schutz gegen Eindringlinge verlassen können.

Dabei geht es den Richtern offenkundig nicht nur um die konkrete, letztlich folgenlos gebliebene Aktion. Sondern auch um den abschreckenden Effekt, der von einer Polizei ohne klare und strikte Begrenzung ihrer Eingriffsmöglichkeiten ausgeht. "Frei von Hemmnissen ist die Mandatsausübung nur dann, wenn der Abgeordnete innerhalb seiner Büroräume von vornherein nicht beziehungsweise nur unter Wahrung hoher Voraussetzungen mit Zugriffen Dritter rechnen muss", schreibt der Zweite Senat. Gewiss, die Polizei müsse die Funktionsfähigkeit des Bundestags schützen, die durch politische Proklamationen an seiner Außenfassade leiden könnte. Nicht minder wichtig für die Demokratie, so das Gericht, sei aber die Integrität des Abgeordnetenbüros.

© SZ vom 01.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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